Boris Pasternak
gescheit. Wenn ich dich nicht erkannt hab, will ich gleich in der
Erde versinken. Ich hab dich erkannt! Meinen Kugeln hab ich nicht getraut,
leibhaftig Grigow!« (Er sagte Kugeln statt Augen und Grigow statt Krüger.) »Du
bist nicht zufällig seine Enkelin? Als ob ich Grigow nicht erkenn! Hab mein
Lebtag bei ihm gearbeitet und meine Zähne abgegessen. In sämtlichen Handwerken
und Posten! Im Bergwerk und an der Walze und auf dem Pferdehof. He, beweg dich!
Du stehst ja schon wieder, soll ich dir Beine machen? Enkel aus China, willst
du nun laufen oder nicht?
Du hast
gefragt, was das für ein Wakch ist, vielleicht der Schmied? Du bist ja nicht
gescheit, Mutter, große Augen, feine Dame, aber dumm. Dein Wakch, Postanogow
hat er geheißen, Postanogow Eisenbauch, der liegt seit fünfzig Jahren in der
Erde, in den Brettern. Ich heiß im Gegenteil Mechonoschin- Der Vorname ist
derselbe, wir sind Namensvettern, aber der Nachname ist anders.«
Nach und
nach erzählte der alte Mann den Reisenden in seiner merkwürdigen Ausdrucksweise
alles über die Mikulizyns, was sie schon von Samdewjatow gehört hatten. Ihn
nannte er Mikulitsch und sie Mikulitschna.
Die
jetzige Frau des Verwalters bezeichnete er als die Zweite, und von der »Ersteren,
Verblichenen« sagte er, sie sei eine Frau wie Honig gewesen, ein weißer Engel.
Als er auf den Partisanenführer Liweri Lesnych zu sprechen kam und erfuhr, daß
dessen Ruhm noch nicht bis Moskau gedrungen war und man dort noch nichts von
den Waldbrüdern gehört hatte, fand er das ganz unglaublich.
»Nie
gehört? Noch nie von den Waldbrüdern gehört? Engel aus China, wozu hat denn
Moskau seine Ohren?«
Es wurde
allmählich Abend. Vor den Reisenden liefen, immer länger werdend, ihre eigenen
Schatten her. Ihr Weg führte durch ein weites ödes Land. Da und dort wuchsen,
einsame Büschel mit Blütentrauben an der Spitze, holzige, hochragende Melde,
Disteln und Schotenweiderich. Von den schrägen Strahlen der untergehenden Sonne
beschienen, zeigten sie geisterhafte Umrisse und sahen aus wie vereinzelt im
Feld aufgestellte, unbewegliche berittene Wachposten.
Weit vorn
stieß die Ebene an eine Hügelkette. Wie eine Wand, hinter der sich eine
Schlucht oder ein Fluß vermuten ließ, stand sie quer zum Weg. Der Himmel
schien dort von einer Mauer umgeben, zu deren Tür sie nun fuhren.
Oben auf
einem steilen Hügel zeichnete sich ein langgestrecktes ebenerdiges weißes Haus
ab. »Siehst du den Bau da oben?« fragte Wakch. »Da wohnen Mikulitsch und
Mikulitschna. Dahinter ist ein Abgrund, eine Schlucht, die wird Schutma
genannt.«
Zwei
Gewehrschüsse knallten kurz nacheinander und erzeugten einen zersplitternden,
sich vervielfachenden Widerhall.
»Was ist
das? Partisanen womöglich, Großvater? Ob das uns gilt?«
»Gott
bewahre. Keine Partisanen. In der Schutma erschreckt Mikulitsch die Wölfe.«
Die erste
Begegnung der Ankömmlinge mit den Hausherren fand auf dem Hof des
Direktorhauses statt. Es kam zu einer quälenden, anfänglich schweigenden, dann
verlegengeräuschvollen und unsinnigen Szene.
Mikulizyns
Frau Jelena kehrte von einem Abendspaziergang aus dem Wald auf den Hof zurück.
Die abendlichen Sonnenstrahlen, die sich von Baum zu Baum hinter ihr herzogen,
hatten fast die gleiche Farbe wie ihre goldblonden Haare. Jelena war sommerlich
leicht gekleidet. Mit einem Tuch wischte sie das vom Gehen erhitzte gerötete
Gesicht. Um den freien Hals lag ein Gummiband, an dem auf dem Rücken ihr
Strohhut hing.
Ihr
entgegen kam, das Gewehr in der Hand, ihr Mann, der aus der Schlucht
heraufstieg und die Absicht hatte, sogleich die verqualmten Gewehrläufe zu
reinigen, denn er hatte bemerkt, daß sie ungenau schössen.
Plötzlich
ratterte Wakch mit dem Wagen und seinen Mitbringseln über die gepflasterte
Einfahrt in den Hof.
Alexander
Gromeko, der mit den anderen rasch abgestiegen war, gab stockend, den Hut
immer wieder ziehend und aufsetzend, die ersten Erklärungen ab.
Die echte,
nicht gespielte Erstarrung der überrumpelten Hausherren und die aufrichtige
Verwirrung der vor Scham glühenden unglücklichen Gäste dauerten ein Weilchen.
Die Situation war auch ohne Erklärungen nicht nur den Beteiligten, Wakch,
Njuscha und Saschenka begreiflich. Das Gefühl der Peinlichkeit übertrug sich
auf die Stute und das Fohlen,' die goldenen Sonnenstrahlen und die Mücken, die
Jelena umsummten und sich ihr auf Gesicht und Hals setzten.
»Ich
verstehe nicht«, unterbrach endlich Mikulizyn sein
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