Boris Pasternak
Hof. Hinter dem schwarzen Vorhang stoben kakelnd Hühner davon, um sich vor
dem Hahn, der sie verfolgte, in Sicherheit zu bringen.
Als sich
die Wolke aufgelöst hatte, sah der Arzt am Brunnen Schwester Antipowa. Der
Wirbelwind erfaßte sie, nachdem sie schon beide Eimer mit Wasser gefüllt hatte;
das Tragjoch lag auf ihren Schultern. Sie hatte in aller Eile das Kopftuch
umgebunden, damit ihre Haare nicht vollstaubten, und es auf der Stirn zum
»Kuckuck« geknotet, und sie klemmte mit den Knien den Saum des Rockes fest,
damit der Wind ihn nicht hochblies. Sie wollte mit dem Wasser zum Hause gehen,
blieb aber bei einem neuen Windstoß stehen, der ihr das Tuch vom Kopf riß, ihr
die Haare zauste und das Tuch zum hinteren Ende des Zauns wehte, wo noch immer
die Hühner kakelten.
Shiwago
lief dem Tuch hinterher, hob es auf und reichte es Schwester Antipowa. Aber
getreu ihrer Natur gab sie nicht zu erkennen, wie verblüfft sie war. Ihr
entfuhr lediglich: »Shiwago!«
»Larissa
Fjodorowna!«
»Was für
ein Wunder! Wie kommen Sie denn hierher?«
»Setzen
Sie die Eimer ab. Ich trage sie.«
»Ich
bleibe nie auf halbem Wege stehen und lasse Angefangenes nie liegen. Wenn Sie
zu mir wollen, kommen Sie.«
»Zu wem
sonst?«
»Wer weiß
das schon bei Ihnen.«
»Lassen
Sie mich doch noch das Tragjoch nehmen. Ich kann nicht zusehen, wenn Sie arbeiten.«
»Was ist
das schon für eine Arbeit. Es bleibt dabei. Sie kleckern mir bloß die Treppe
voll. Sagen Sie mir lieber, welcher Wind Sie hergeweht hat. Sie sind schon über
ein Jahr hier und haben sich bisher nicht aufraffen können.«
»Woher
wissen Sie das?«
»Die Welt
ist voll von Gerüchten. Außerdem habe ich Sie in der Bibliothek gesehen.«
»Warum
haben Sie mich nicht angesprochen?«
»Sie
wollen mir doch nicht weismachen, daß Sie mich nicht gesehen haben.«
Der Arzt
folgte ihren sacht schwankenden Eimern in den niedrigen Hausflur. Es war der
Hintereingang zum Parterre. Hier ging Lara Antipowa leicht in die Knie, setzte
die Eimer auf den Erdboden, befreite die Schulter von dem Tragjoch, richtete
sich auf und wischte die Hände mit einem Tüchlein, das sie irgendwo
hervorgeholt hatte.
»Kommen
Sie, ich führe Sie durch den Gang zur Vordertreppe. Dort ist es hell. Dort
können Sie warten. Ich bringe das Wasser über die Hintertreppe hinauf, mache
oben ein wenig Ordnung, ziehe mich um. Schauen Sie sich unsere Treppe an.
Gußeiserne Stufen mit Mustern. Von oben kann man durch sie hindurchsehen. Es
ist ein altes Haus. Während des Beschusses wurde es erschüttert. Es waren ja
Kanonen. Sehen Sie, hier haben sich die Steine gelockert. Zwischen den Ziegeln
sind Löcher und Risse. In dieses Loch stecken wir immer die Schlüssel, Katenka
und ich, und schieben einen Ziegel davor, wenn wir gehen. Sie sollten sich das
merken. Vielleicht kommen Sie mal und treffen mich nicht an, dann herzlich
willkommen, Sie können aufschließen, hineingehen und sich wie zu Hause fühlen.
Ich komme dann auch bald. Hier ist er, der Schlüssel. Aber ich brauche ihn
nicht, ich gehe durch den Hintereingang in die Wohnung und mache von innen auf.
Das Schlimmste sind die Ratten. Es sind unzählige, sie lassen einem keine Ruhe,
springen über den Kopf. Das Haus ist baufällig, die Mauern haben überall Risse.
Wo ich kann, stopfe ich sie zu, kämpfe gegen die Biester. Es hilft kaum.
Vielleicht kommen Sie mal und helfen mir? Dann verstopfen wir die Fußböden und
die Scheuerleisten. Wie wär's? So, Sie können hier unten stehenbleiben und
nachdenken. Es dauert nicht lange, ich rufe Sie.«
Wartend
ließ Shiwago die Blicke über die abbröckelnden Wände und die gußeisernen
Treppenstufen schweifen. Er dachte: Im Lesesaal habe ich ihr hingebungsvolles
Lesen mit physischer Arbeit verglichen. Und siehe da, sie trägt das Wasser
genauso, wie sie liest, leicht und mühelos. Diese Leichtigkeit hat sie in
allem. Es scheint, daß sie schon als Kind einen grundlegenden Anlauf ins Leben
genommen hat und jetzt alles aus diesem Schwung heraus verrichtet, wie von
selbst, mit der Leichtigkeit einer logischen Schlußfolgerung. Das hat sie auch
in der Rückenlinie, wenn sie sich bückt, in ihrem Lächeln, das ihre Lippen
öffnet und das Kinn rundet, und in ihren Worten und Gedanken.
»Shiwago!«
rief sie aus ihrer Wohnungstür auf dem oberen Treppenabsatz. Der Arzt stieg
hinauf.
»Geben Sie
mir die Hand und folgen Sie mir getrost. Wir kommen durch zwei Räume, die
dunkel und bis zur Decke vollgestellt sind.
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