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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Stoßen Sie sich nicht.«
    »Das ist
ja wirklich ein Labyrinth. Ich hätte nie den Weg gefunden. Wie kommt das? Wird
renoviert?«
    »Nein,
überhaupt nicht. Dies ist eine fremde Wohnung. Ich weiß nicht einmal, wem sie
gehört. Wir hatten eine eigene vom Staat, im Gebäude des Gymnasiums. Als das
Wohnungsamt von Jurjatin das Gymnasium für sich beanspruchte, mußte ich mit
meiner Tochter einen Teil dieser verlassenen Wohnung beziehen. Es war noch die
Einrichtung der ehemaligen Bewohner drin. Viele Möbel. Ich brauche keine
fremde Habe, darum habe ich die Sachen in die beiden Zimmer gestellt und die
Fenster geweißt. Halten Sie meine Hand fest, sonst gehen Sie fehl. So, jetzt
nach rechts, das Labyrinth liegt hinter uns. Das ist die Tür zu meinem Zimmer.
Gleich wird es hell. Die Schwelle. Stolpern Sie nicht.«
    Als
Shiwago mit seiner Führerin das Zimmer betrat, erblickte er gegenüber ein
Fenster. Was er darin sah, verblüffte ihn. Es ging auf den Hof, auf die
Hinterhöfe der Nachbarhäuser und auf die städtischen Brachflächen am Fluß.
Darauf weideten Schafe und Ziegen, die mit ihrem langen Fell den Staub
aufwirbelten wie mit einem offenen Pelzmantel. Außerdem standen dort zwei
Pfähle mit dem wohlbekannten Firmenschild: Moreau und Wetschinkin. Sämaschinen.
Dreschmaschinen.
    Unter dem
Eindruck dieses Schildes erzählte der Arzt Lara sogleich von seiner Ankunft mit
der Familie im Ural. Er vergaß die Verbindung, die der Stadtklatsch zwischen
Strelnikow und Laras Mann herstellte, und schilderte ihr seine Begegnung mit
dem Kommissar im Waggon. Dieser Teil seines Berichts interessierte sie
besonders.
    »Sie haben
Strelnikow gesehen?« fragte sie lebhaft. »Ich will vorerst nichts weiter dazu
sagen. Aber das ist bedeutsam! Daß Sie sich begegnen, scheint geradezu
vorherbestimmt. Wenn ich Ihnen das später erkläre, werden Sie nur so staunen.
Wenn ich Sie richtig verstehe, hat er auf Sie einen eher angenehmen Eindruck
gemacht?«
    »Ich
glaube schon. Er hätte mich eigentlich abstoßen sollen. Wir sind nämlich durch
Gegenden gefahren, in denen er gewütet hat, und haben die Zerstörungen
gesehen. Ich hatte einen Henker erwartet, ein Stück Soldateska oder einen
manischen Würgeknecht der Revolution, doch er war weder das eine noch das
andere. Es ist gut, wenn jemand unsere Erwartungen enttäuscht, wenn er abweicht
von dem Bild, das man sich von ihm gemacht hat. Ein Mensch, der einem Typ
angehört, ist am Ende, ist verdammt. Wenn man ihn nicht in ein Schubfach
einsortieren kann und wenn er ohne klares Profil ist, dann ist die Hälfte
dessen, was man von ihm erwartet, schon erfüllt. Er ist frei von sich und hat
ein Teilchen Unsterblichkeit erreicht.«
    »Er soll
parteilos sein.«
    »Ja, ich
glaube. Was nimmt für ihn ein? Er ist zum Untergang verurteilt. Ich glaube, er
wird ein schlimmes Ende nehmen. Er wird das Böse, das er angerichtet hat,
sühnen müssen. Die selbsternannten Vollstrecker der Revolution sind nicht
deshalb so grausig, weil sie Unholde wären, sondern weil sie wie unlenkbare
Mechanismen sind, wie entgleiste Lokomotiven. Strelnikow ist auch solch ein Wahnsinniger,
aber er ist nicht über den Büchern verrückt geworden, sondern über dem, was er
erlebt und durchgemacht hat. Ich kenne sein Geheimnis nicht, aber ich bin
sicher, daß er eines hat. Sein Bündnis mit den Bolschewiken ist zufällig.
Solange er ihnen nützt, werden sie ihn dulden. Aber sobald sie ihn nicht mehr
brauchen, werden sie ihn ohne Erbarmen wegwerfen und zerstampfen wie schon so
viele Militärspezialisten vor ihm.«
    »Meinen
Sie?«
    »Ganz
sicher.«
    »Aber gibt
es denn keine Rettung für ihn? Flucht zum Beispiel?«
    »Wohin,
Larissa Fjodorowna? Früher beim Zaren ging das. Versuchen Sie das mal heute.«
    »Er tut
mir leid. Das hat Ihre Erzählung bewirkt. Aber Sie haben sich verändert. Früher
haben sie nicht so scharf, so gereizt über die Revolution geurteilt.«
    »Das ist
es ja gerade, alles hat seine Grenzen, Larissa Fjodorowna. In diesem Zeitraum
hätten die eigentlich schon etwas erreichen müssen. Es zeigt sich aber, daß die
Inspiratoren der Revolution im Chaos der Veränderungen und Umstellungen in
ihrem Element sind und daß sie nicht Brot wollen, sondern irgend etwas von
globalem Maßstab. Der Aufbau von Welten, Übergangsperioden, das ist ihnen
Selbstzweck. Etwas anderes haben sie nicht gelernt, sie können nichts. Wissen
Sie, woher die Hektik dieser ewigen Vorbereitungen kommt? Vom Fehlen
ausgeprägter Begabungen, von

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