Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
Vom Netzwerk:
zu glauben ich mich mit Recht geweigert habe.«
    »Das
überrascht mich nicht, ich war darauf vorbereitet. Ich habe dieses Märchen oft
gehört und hielt es für Unsinn. Darum bin ich so weit gegangen, in aller
Offenheit und Unvorsichtigkeit mit Ihnen von ihm zu sprechen, als gäbe es diese
Gerüchte nicht. Und die machen auch keinen Sinn. Ich habe den Mann gesehen.
Was könnte Sie mit ihm verbinden? Was haben Sie gemeinsam?«
    »Und doch
stimmt es, Juri Andrejewitsch. Strelnikow ist Antipow, mein Mann. Ich bin wie
alle der Meinung. Katenka weiß es auch und ist stolz auf ihren Vater.
Strelnikow ist ein Deckname, ein Pseudonym, wie alle Berufsrevolutionäre es haben.
Aus irgendwelchen Erwägungen muß er unter fremdem Namen leben und agieren.
    Er ist es,
der Jurjatin eingenommen und uns mit Granaten beschossen hat, obwohl er wußte,
daß wir hier sind. Er hat sich kein einziges Mal erkundigt, ob wir noch leben,
um sein Geheimnis nicht zu lüften. Das war natürlich seine Pflicht. Wenn er uns
gefragt hätte, wie er sich verhalten soll, würden wir ihm dasselbe geraten
haben. Sie werden zugeben, meine Unantastbarkeit, die erträglichen
Lebensbedingungen, die uns der Stadtsowjet gewährt hat, und andere Dinge
beweisen indirekt, daß er insgeheim für uns gesorgt hat. Trotzdem werden Sie
mir das nicht erklären können. Er war ganz in der Nähe und hat der Versuchung
widerstanden, uns zu sehen! Das will mir nicht in den Kopf, das geht über
meinen Verstand. Das ist für mich unfaßbar, das ist nicht Leben, sondern eine
Art römische Opferbereitschaft, eine der heute üblichen Superw eisheiten. Und doch
erliege ich nicht Ihrem Einfluß, singe nicht mit Ihrer Stimme. Ich möchte das
nicht. Wir beide sind nicht gleichgesinnt. Es gibt etwas Unfaßbares,
Unbestimmtes, das wir auf gleiche Weise begreifen. Aber in den bedeutenderen
Dingen, in der Philosophie des Lebens wollen wir doch lieber Gegner bleiben.
Doch zurück zu Strelnikow.
    Jetzt ist
er in Sibirien, und Sie haben recht, ich habe auch schon Informationen, daß es
Beschwerden gegen ihn gibt, die mir Angst machen. Er ist jetzt in Sibirien, auf
einem unserer weit vorgeschobenen Abschnitte, und wird seinem Freund aus der
Kindheit und späteren Frontkameraden, dem armen Galiullin, eine Niederlage
beibringen. Dieser kennt das Geheimnis seines Namens, weiß von unserer Ehe und
besaß doch das unschätzbare Taktgefühl, mich das nie fühlen zu lassen, obwohl
er bei dem Namen Strelnikow gewöhnlich brüllt und tobt und außer sich gerät.
Ja, er ist jetzt in Sibirien.
    Als er
hier war, und er war lange hier und hat die ganze Zeit auf den Gleisen gewohnt,
in dem Waggon, wo Sie ihn sahen, habe ich immer wieder versucht, irgendwie
zufällig mit ihm zusammenzutreffen. Manchmal fuhr er zum Stab in das Haus, in
dem früher die Militärverwaltung für die Truppen der Konstituierenden
Versammlung war. Seltsames Spiel des Zufalls. Der Eingang zum Stab war in
demselben Nebengebäude, wo mich früher Galiullin empfing, wenn ich zu ihm wollte,
um für andere zu bitten. Eine Geschichte zum Beispiel hat viel Staub
aufgewirbelt, die mit dem Kadettenkorps. Die Kadetten hatten angefangen,
unbeliebten Lehrern aufzulauern und sie zu erschießen unter dem Vorwand, sie
wären Anhänger des Bolschewismus. Oder als die Judenverfolgungen einsetzten und
das Gemetzel begann. Apropos, von den Stadtbewohnern und den Intellektuellen,
die ich kenne, sind die Hälfte Juden. In solchen Pogromzeiten, wenn diese
entsetzlichen Greuel losgehen, empfinden wir außer Empörung, Scham und Mitleid
auch noch eine belastende Zwiespältigkeit, weil unser Mitgefühl zur Hälfte aus
dem Kopf kommt, mit einem Anflug von Unaufrichtigkeit.
    Diese
Juden, die einst die Menschheit vom Joch der Götzenanbetung befreiten und sich
jetzt in so großer Zahl ihrer Befreiung vom sozialen Übel widmen, haben nicht
die Kraft, sich von sich selbst zu befreien, die Treue zu ihrem überlebten
vorsintflutlichen Volksnamen aufzugeben, der seine Bedeutung verloren hat, sie
können sich nicht über sich selbst erheben und spurlos mit den anderen
Menschen verschmelzen, deren religiöse Ursprünge sie selbst legten und die
ihnen so nahe wären, wenn sie sie besser kennten.
    Sicherlich
sind es die schlimmen Verfolgungen, die sie zu dieser sinnlosen und
zerstörerischen Haltung, zu dieser beschämenden, nur Unglück bringenden,
fatalistischen Abkapselung verpflichten, aber selbst darin ist auch eine innere
Altersschwäche, eine historische

Weitere Kostenlose Bücher