Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
Vom Netzwerk:
der Nähe sah. Aber daraus
wurde nichts, denn er konnte sich an Samdewjatows Worte nicht erinnern.
     
    Juri
Shiwago saß, von Büchern umgeben, in einer hinteren Ecke des Saals. Vor ihm
lagen Zeitschriften über die Agrarstatistik dieser Gegend und ein paar Arbeiten
über ihre Ethnographie. Er hatte noch zwei Bücher über die Geschichte
Pugatschows bestellen wollen, aber die Bibliothekarin in der Seidenbluse hatte
ihm durch das vor den Mund gepreßte Taschentuch flüsternd erklärt, so viele
Bücher würden nicht auf einmal ausgegeben, und um die ihn interessierenden
neuen zu bekommen, müsse er einen Teil der schon entliehenen Bücher und
Zeitschriften zurückbringen.
    Darum war
er nun eifrig und eilig dabei, sich die Bücher anzusehen, um das Wichtigste aus
dem Stapel aussondern und den Rest gegen die gewünschten historischen Arbeiten
umtauschen zu können. Rasch blätterte er die Sammelbände durch und überflog die
Überschriften, ohne aufzublicken und sich ablenken zu lassen. Die vielen
Menschen im Saal störten ihn nicht. Er hatte seine Nachbarn gut studiert und
sah sie mit dem inneren Blick, ohne die Augen vom Buch zu heben, dabei hatte er
das Gefühl, sie würden bis zu seinem Weggang dieselben bleiben, wie ja auch die
Kirchen und Gebäude der Stadt, die durchs Fenster zu sehen waren, nicht von
ihrem Platz rückten.
    Inzwischen
war die Sonne weitergewandert. Sie hatte in diesen Stunden den östlichen Winkel
der Bibliothek hinter sich gelassen und schien jetzt durch die südlichen
Fenster herein, was die Leser blendete und beim Lesen störte.
    Die
erkältete Bibliothekarin verließ die Nische und ging zu den Fenstern. Diese
hatten gefaltete Gardinen aus weißem Stoff, die das Licht angenehm dämpften.
Die Frau zog sie an allen Fenstern zu außer einem, das noch im Schatten lag.
Sie zog an einer Schnur, öffnete die Lüftungsklappe und nieste.
    Als sie
zum zehnten oder zwölften Mal nieste, wußte Juri Shiwago, daß es die Schwägerin
Mikulizyns war, eine der Schwestern Tunzewa, von der Samdewjatow erzählt hatte.
So wie die anderen Leser hob auch er den Kopf und blickte zu ihr hin.
    Da
bemerkte er, daß es im Saal eine Veränderung gegeben hatte. Am anderen Ende
war eine neue Besucherin hinzugekommen. Sofort erkannte er Schwester Antipowa.
    Sie saß
mit dem Rücken zu den vorderen Tischen, wo er seinen Platz hatte, und sprach
halblaut mit der erkälteten Bibliothekarin, die sich zu ihr beugte. Das
Gespräch schien wohltuend auf die Bibliothekarin zu wirken, denn sie war im Nu
nicht nur von ihrem ärgerlichen Schnupfen befreit, sondern auch von ihrer
nervösen Verkrampftheit. Mit einem freundlichen, dankbaren Blick auf Lara Antipowa
nahm sie das Taschentuch vom Mund, das sie die ganze Zeit davorgehalten hatte,
steckte es in die Tasche und kehrte glücklich, selbstsicher und lächelnd hinter
die Barriere zurück.
    Diese
rührende kleine Szene war einigen der Anwesenden nicht entgangen. Lara
Antipowa trafen lächelnde Blicke voller Sympathie. Daraus ersah Juri Shiwago,
daß sie in der Stadt bekannt und beliebt war.
     
    Sein
erster Impuls war, aufzustehen und zu ihr zu gehen. Aber dann gewann die seiner
Natur eigentlich fremde, ihr gegenüber jedoch in ihm entstandene Gehemmtheit
die Oberhand. Er beschloß, sie nicht zu stören und auch die eigene Arbeit nicht
zu unterbrechen. Um nicht dauernd zu ihr hinzublicken, stellte er seinen Stuhl
seitlich zum Tisch, so daß er den Lesern fast den Rücken zukehrte, und
vertiefte sich in seine Bücher, von denen er eines in der Hand hielt, während das
andere aufgeschlagen auf seinen Knien lag.
    Seine
Gedanken aber waren unendlich weit entfernt von seinen Studien. Er begriff
plötzlich, daß die Stimme, die er in einer Winternacht in Warykino geträumt
hatte, ihre Stimme war. Diese Entdeckung verblüffte ihn; er erregte die
Aufmerksamkeit seiner Nachbarn, als er hastig den Stuhl wieder zurückstellte,
um von seinem Platz aus Schwester Antipowa zu sehen.
    Er sah sie
im Halbprofil, beinahe von hinten. Sie trug eine helle karierte Bluse mit einem
Gürtel und las selbstvergessen wie ein Kind, den Kopf ein wenig geneigt.
Manchmal kam sie ins Nachdenken, hob den Blick zur Decke oder sah mit
eingekniffenen Augen in die Ferne, dann stützte sie wieder den Ellbogen auf,
legte den Kopf in die Hand und schrieb schwungvoll mit Bleistift Auszüge aus
einem Buch in ihr Heft.
    Juri
Shiwago prüfte seine alten Meljusejewer Beobachtungen und fand sie bestätigt.
Sie legt keinen Wert

Weitere Kostenlose Bücher