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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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den
bellenden Genossen nannten, und der kroatische Feldscher Angeljar, ebenfalls
österreichischer Kriegsgefangener. Mit dem erstgenannten unterhielt sich Doktor
Shiwago auf deutsch, während der zweite, der vom slawischen Balkan stammte,
leidlich russisch verstand.
     
    Nach der
internationalen Konvention über das Rote Kreuz dürfen Militärärzte und
Mitarbeiter von Sanitätsabteilungen nicht an bewaffneten Kampfhandlungen teilnehmen.
Eines Tages aber mußte Doktor Shiwago wider Willen gegen diese Regel verstoßen.
Es entspann sich ein Gefecht, das ihn zwang, das Schicksal der Kämpfenden zu
teilen und gleichfalls zu schießen.
    Die
Partisanenkette, bei der der Arzt vom Feuer überrascht wurde und sich neben
dem Telefonisten zu Boden warf, hielt einen Waldrand besetzt. Hinter den
Partisanen war die Taiga, und vor ihnen lag eine kahle, ungeschützte Lichtung,
auf der die Weißen zum Angriff vorrückten.
    Sie kamen
immer näher und waren schon ganz nahe. Der Arzt konnte sie gut sehen und jedes
einzelne Gesicht erkennen. Es waren Knaben und Jünglinge aus den zivilen
Schichten der hauptstädtischen Gesellschaft und ältere Reservemänner, die man
mobilisiert hatte. Aber den Ton gaben die Jugendlichen an, Studenten des ersten
Studienjahres und Gymnasiasten der achten Klasse, die sich vor kurzem
freiwillig gemeldet hatten.
    Doktor
Shiwago kannte keinen von ihnen, aber die Hälfte der Gesichter kam ihm bekannt
und vertraut vor.
    Manche
erinnerten ihn an einstige Schulkameraden. Ob es deren jüngere Brüder waren?
Andere glaubte er früher im Theater oder auf der Straße in der Menge gesehen zu
haben. Ihre ausdrucksvollen, sympathischen Gesichter empfand er als
nahestehend, als verwandt.
    Die
Pflichttreue, so wie sie sie verstanden, begeisterte sie für eine Tollkühnheit,
die sinnlos, herausfordernd war. Sie gingen in lockerer Kette,
hochaufgerichtet, mit ihrer Haltung die der Gardisten übertreffend, und da sie
mit der Gefahr kokettierten, verschmähten sie Sprung-aufmarsch-marsch, obwohl
es auf der Lichtung Huckel und Bülten gab, hinter denen sie Deckung gefunden
hätten. Die Kugeln der Partisanen warfen sie beinahe Mann für Mann nieder.
    Mitten auf
der breiten Lichtung stand ein verbrannter toter Baum. Er war von einem Blitz
oder einem Lagerfeuer verkohlt, vielleicht auch von früheren Kämpfen. Jeder
der vorgehenden freiwilligen Schützen sah zu ihm hin und kämpfte gegen die
Versuchung, hinter den Stamm zu treten, um sicherer und sorgfältiger zielen zu
können, widerstand jedoch und ging weiter.
    Die
Partisanen hatten nur eine begrenzte Zahl von Patronen und mußten sparen.
Darum gab es einen mündlich weitergegebenen Befehl, nur auf kurze Entfernung zu
schießen und nur einmal auf jedes Ziel.
    Der Arzt
lag unbewaffnet im Gras und beobachtete das Gefecht. All seine Sympathie war
auf Seiten der heldenhaft sterbenden Kinder. Er wünschte ihnen von Herzen
Erfolg. Es waren Sprößlinge von Familien, die ihm sicherlich in Geist und
Erziehung, in sittlicher Haltung und in den Ehrbegriffen nahestanden.
    Ihn
durchzuckte der Gedanke, zu ihnen auf die Lichtung zu laufen und sich zu
ergeben, um auf diese Weise freizukommen. Aber das wäre ein riskanter,
gefährlicher Schritt gewesen.
    Wenn er
mit erhobenen Armen zur Mitte der Lichtung liefe, konnte er von beiden Seiten
beschossen werden, in die Brust und in den Rücken, von den Seinen als Strafe
für den Verrat, von den anderen, weil die seine Absicht nicht kannten. Er war
schon öfter in ähnlicher Lage gewesen, hatte alle Möglichkeiten durchdacht und
solche Rettungspläne für untauglich befunden. Darum schickte er sich in die
Zwiespältigkeit seiner Gefühle, blieb flach liegen und beobachtete vom Gras aus
unbewaffnet das Gefecht.
    Aber
zuzuschauen und in dem tobenden Kampf auf Leben und Tod untätig zu bleiben war
unmöglich und überstieg menschliche Kraft. Es ging nicht um die Treue zu dem
Lager, an das er zwangsweise gekettet war, auch nicht um die eigene
Selbstverteidigung, sondern darum, der Ordnung des Geschehens zu folgen, sich
den Gesetzen dessen zu fügen, was sich vor ihm und um ihn abspielte. Es war
gegen die Regeln, teilnahmslos zu bleiben. Er mußte das gleiche tun wie die
andern. Es wurde gekämpft. Auf ihn und seine Kameraden wurde geschossen. Er
mußte zurückschießen. Und als der Telefonist neben ihm krampfartig zuckte, sich
dann streckte und reglos erstarrte, kroch Doktor Shiwago zu ihm, nahm dessen
Tasche und Gewehr, kehrte an seinen Platz zurück

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