Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
Vom Netzwerk:
Kämpfende zum Feind überliefen, konnte
man Serjosha Ranzewitsch bei strenger Geheimhaltung für einen neuen Mitkämpfer
ausgeben, der sich erst kürzlich angeschlossen hatte.
    Doktor
Shiwago streifte dem toten Telefonisten die Oberkleidung ab und zog sie mit
Hilfe Angeljars, den er eingeweiht hatte, dem zu Bewußtsein gekommenen Jüngling
an.
    Er und der
Feldscher pflegten den Jungen gesund. Als sich Serjosha gänzlich erholt hatte,
ließen sie ihn gehen, obwohl er seinen Rettern nicht verhehlte, daß er zur
Koltschak-Armee zurückkehren und den Kampf gegen die Roten fortsetzen wolle.
     
    Im Herbst
befand sich das Lager der Partisanen auf dem Fuchswerder, einem kleinen
Waldstück auf einem hohen Hügel, den von drei Seiten, seine Ufer unterspülend,
ein reißendes Flüßchen umströmte.
    Vor den
Partisanen hatte hier die Kappel-Formation überwintert. Die Offiziere hatten
den Wald mit eigenen Kräften und mit Hilfe der einheimischen Bevölkerung befestigt
und ihn im Frühjahr verlassen. In den nicht gesprengten Unterständen,
Schützengräben und Verbindungsgängen hausten jetzt die Partisanen.
    Liweri
Mikulizyn teilte seine Erdhütte mit Doktor Shiwago. Schon die zweite Nacht
verwickelte er ihn in Gespräche und ließ ihn nicht schlafen.
    »Ich
möchte mal wissen, was mein hochverehrter Erzeuger jetzt macht, mein geehrter
Vater, mein Papilein.«
    Mein Gott,
ich kann diesen schnoddrigen Ton nicht ausstehen, dachte der Arzt seufzend.
Dabei ist er seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten!
    »Wie ich
aus unseren früheren Gesprächen schließe, haben Sie meinen Vater Awerki Stepanowitsch
gut gekannt. Und ich glaube, Sie haben eine recht positive Meinung von ihm.
Nicht wahr, liebwerter Herr?«
    »Liweri
Awerkijewitsch, morgen haben wir die Wahlversammlung auf dem freien Platz.
Außerdem ist die Gerichtsverhandlung gegen die Sanitäter, die Schnaps gebrannt
haben. Lajos und ich haben das nötige Material noch nicht beisammen. Deshalb
wollen wir uns morgen noch zusammensetzen. Ich habe zwei Nächte nicht geschlafen.
Verschieben wir die Unterhaltung. Seien Sie barmherzig.«
    »Nein,
noch einmal zurück zu meinem Vater Awerki Stepanowitsch. Was halten Sie von dem
alten Herrn?«
    »Ihr Vater
ist noch jung, Liweri Awerkijewitsch. Warum sprechen Sie so über ihn? Aber ich
will Ihnen antworten. Ich habe Ihnen schon oft gesagt, daß ich mich in den Prozentstärken
der verschiedenen sozialistischen Aufgüsse schlecht auskenne, und ich sehe
keinen besonderen Unterschied zwischen den Bolschewiken und den anderen
Sozialisten. Ihr Vater gehört zu den Leuten, denen Rußland die Unruhen und die
Unordnung der letzten Zeit verdankt. Er ist ein revolutionärer Typ und
Charakter, genau wie Sie, er ist ein Vertreter des russischen Prinzips der
Gärung.«
    »Ist das
ein Lob oder eine Rüge?«
    »Ich bitte
Sie noch einmal, diesen Disput auf eine günstigere Zeit zu verschieben. Außerdem
mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Sie unmäßig Kokain schnupfen. Sie nehmen
es eigenmächtig aus den Vorräten, für die ich verantwortlich bin. Sie
gebrauchen es zweckentfremdet, ganz zu schweigen davon, daß es ein Gift ist und
ich mich um Ihre Gesundheit zu kümmern habe.«
    »Sie waren
gestern schon wieder nicht zur Schulung. Ihre gesellschaftliche Ader ist so
unterentwickelt wie bei analphabetischen Dorfweibern und eingefleischten, verknöcherten
Spießern. Dabei sind Sie Arzt, haben viel gelesen und schreiben auch selbst.
Wie reimt sich das zusammen?«
    »Weiß ich
nicht. Wahrscheinlich reimt es sich überhaupt nicht zusammen, damit muß ich
leben. Ich verdiene Mitleid.«
    »Demut ist
schlimmer als Stolz. Statt zu spötteln, sollten Sie lieber unsere Schulungskurse
besuchen und Ihren Hochmut als unangebracht erkennen.«
    »Ich bitte
Sie, Liweri Awerkijewitsch, wo soll bei mir Hochmut herkommen? Ihre
Erziehungsarbeit erfüllt mich mit Ehrfurcht. Die Themen, die in den
Schulungskursen behandelt werden, wiederholen sich, ich habe sie gelesen. Ihre
Gedanken über die geistige Entwicklung der Soldaten sind mir bekannt. Ich bin
geradezu begeistert. Alles, was bei Ihnen über die Haltung eines Soldaten der
Volksarmee zu seinen Kameraden, zu den Schwachen, den Schutzlosen, zur Frau,
zur Idee der Reinheit und der Ehre gesagt wird, ist fast genau das gleiche, was
die Gemeinschaft der Duchoborzen zusammengeführt hat, diese Spielart des
Tolstojanismus, es ist der Traum von einem würdigen Dasein, meine ganze Jugend
war voll davon. Und darüber soll ich

Weitere Kostenlose Bücher