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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Kippe diente. Kologriwow, ein Mann mit fortschrittlichen
Ansichten und Millionär, der mit der Revolution sympathisierte, weilte derzeit
mit seiner Frau im Ausland. Auf dem Gut wohnten nur seine Töchter Nadja und
Lipa mit ihrer Erzieherin und einer kleinen Dienerschaft.
    Von dem Park mit seinen
Teichen und Wiesen und dem Herrenhaus war der Garten des Verwalters durch eine
dichte Hecke aus Wasserholunder getrennt. Woskoboinikow und Wedenjapin gingen
außen an diesem Gesträuch entlang, und immer wieder stoben Schwärme von
Spatzen, von denen es im Gesträuch wimmelte, vor ihnen auf. Das erfüllte die
Hecke mit einem gleichmäßigen Rauschen, als flösse an der Hecke Wasser durch
ein Rohr.
    Sie passierten die Orangerie,
die Gärtnerwohnung und ein zerfallenes Gemäuer. Im Gehen unterhielten sie sich
über die neuen jungen Kräfte in der Wissenschaft und der Literatur.
    »Ab und zu gibt es Leute mit
Talent«, sagte Wedenjapin. »Aber es sind gegenwärtig allerlei Zirkel und
Vereinigungen im Schwange. Jede solche Vereinigung ist eine Zuflucht für
Unbegabte, ob sie nun Solowjow, Kant oder Marx die Treue halten. Nach der
Wahrheit suchen nur Einzelgänger, und die brechen mit all denen, die sie nicht
genug lieben. Gibt es etwas auf der Welt, was Treue verdient? Nur sehr wenige
Dinge. Ich finde, man soll der Unsterblichkeit treu sein, die ein anderes Wort
für das Leben ist, nur ein wenig stärker. Man soll der Unsterblichkeit die
Treue halten, man soll Christus treu sein! Ach, Sie verziehen das Gesicht, Sie
Unglücklicher. Schon wieder haben Sie rein gar nichts begriffen.«
    »Tja«, brummte Woskoboinikow,
ein dünner, weißblonder, flinker Mann mit boshaftem Spitzbart, der ihn einem
Amerikaner aus der Zeit Lincolns ähnlich machte (er nahm ihn aller naselang in
die Hand und haschte mit den Lippen nach dem Ende).
    »Ich sage nichts dazu. Sie
wissen, daß ich die Dinge anders sehe. Übrigens, erzählen Sie doch, wie Sie als
Geistlicher ausgeschieden sind. Das wollte ich Sie schon immer mal fragen. Man
hat Sie bestimmt hart hergenommen? Das Anathema ausgesprochen. Oder?«
    »Warum lenken Sie ab? Aber von
mir aus. Anathema? Nein, der Bannfluch wird nicht mehr ausgesprochen. Es gab
Unannehmlichkeiten, die Folgen haben. So darf ich zum Beispiel für lange Zeit
nicht in den Staatsdienst treten. Und nicht in die Hauptstädte. Aber unwichtig.
Kehren wir zu unserem Thema zurück. Ich sagte, man müsse Christus treu sein.
Das erkläre ich Ihnen. Sie begreifen eines nicht: Man kann Atheist sein und
möglicherweise nicht wissen, ob es einen Gott gibt und wozu, aber man kann
dennoch wissen, daß der Mensch nicht in der Natur lebt, sondern in der
Geschichte, die aus heutiger Sicht von Christus begründet wurde, mit dem
Evangelium als Grundlage. Und was ist die Geschichte? Sie ist die
Festschreibung jahrhundertelanger Bemühungen um die fortschreitende
Enträtselung des Todes und seine künftige Überwindung. Zu diesem Zweck werden
die mathematische Unendlichkeit und elektromagnetische Wellen entdeckt, werden
Symphonien geschrieben. In dieser Richtung voranzukommen geht nicht ohne einen
gewissen Enthusiasmus. Für solche Entdeckungen bedarf es geistigen Rüstzeugs.
Grundlagen dafür finden sich im Evangelium. Hier sind sie. Da ist erstens die
Nächstenliebe, diese höchste Form von Lebensenergie, die das menschliche Herz
erfüllt und nach Hingabe und Verschwendung verlangt. Da sind ferner die
Grundkomponenten des modernen Menschen, ohne die er nicht denkbar ist, nämlich
die Idee von der freien Persönlichkeit und die Idee vom Leben als Opfer.
Bedenken Sie, daß das noch immer ungewöhnlich neu ist. In diesem Sinne hatte
das Altertum keine Geschichte. Es gab die sanguinische Gemeinheit der
grausamen, pockennarbigen Caligulas, die nicht ahnten, wie unfähig jeder
Unterdrücker ist. Es gab die prahlerische tote Ewigkeit der Bronzedenkmäler und
der Marmorsäulen. Erst die Jahrhunderte und Generationen nach Christus konnten
frei atmen. Erst nach ihm begann das Leben in den Nachkommen, und der Mensch
stirbt nicht mehr in der Gosse, sondern bei sich in der Geschichte, mitten in
der Arbeit, die der Überwindung des Todes gewidmet ist, er stirbt und ist
selber diesem Thema gewidmet. Uff, bin ich in Eifer geraten! Dabei ist alles in
den Wind geredet!«
    »Metaphysik, mein Lieber. Das
haben mir die Ärzte verboten, das kann mein Magen nicht verdauen.«
    »Ihnen ist nicht zu helfen.
Lassen wir das. Sie sind ein Glückspilz! Diese herrliche

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