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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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sagen, daß sie losfahren
könnten.
    Er fand
sie in äußerster Verwirrung. Sie und Katenka waren schon reisefertig angezogen,
und alles war gepackt, aber sie bat ihn, händeringend und die Tränen
zurückhaltend, sich für einen Moment zu setzen, warf sich in einen Sessel,
stand immer wieder auf, spickte ihre Rede mit »stimmt es nicht?« und sprach
hastig, unzusammenhängend, mit hoher, singender und klagender Stimme: »Ich kann
nichts dafür. Ich weiß ja selber nicht, wie das gekommen ist. Können wir jetzt
noch losfahren? Bald wird es dunkel. Die Nacht wird uns unterwegs einholen. Und
das in deinem schrecklichen Wald. Stimmt es nicht? Ich werde tun, was du sagst,
aber mein eigener Wille gibt keinen Entschluß her. Etwas hält mich zurück. Ich
bin innerlich sehr unruhig. Aber wie du meinst. Stimmt es nicht? Warum schweigst
du, warum sagst du kein Wort? Wir vertrödeln den ganzen Vormittag, wir vertun
einen halben Tag. Das darf sich morgen nicht wiederholen, wir werden
vernünftiger sein, stimmt es nicht? Vielleicht bleiben wir noch einen Tag
länger? Morgen stehen wir früher auf, kaum daß es hell wird, um sieben oder
schon um sechs. Was meinst du? Du heizt den Ofen, du schreibst noch einen
Abend, wir übernachten ein letztes Mal hier. Das wäre doch einmalig,
zauberhaft! Warum sagst du nichts? Schon wieder bin ich schuldig, ich Unglückliche!«
    »Du
übertreibst. Bis zur Dämmerung ist es noch lange hin. Es ist früher Nachmittag.
Aber wie du willst. Gut. Wir bleiben. Nur beruhige dich. Du bist ja ganz außer
dir. Wirklich, wir stellen das Gepäck ab, ziehen die Pelzmäntel aus. Katenka ist
schon ganz hungrig. Wir wollen was essen. Du hast ja recht, heute abzureisen,
das wäre zu plötzlich, zu unvorbereitet. Um Gottes willen, beruhige dich, hör
auf zu weinen. Gleich mach ich Feuer. Aber da das Pferd einmal eingespannt ist
und mit dem Schlitten vor der Tür steht, fahre ich noch schnell zum Schuppen
unseres früheren Hauses und hole das letzte Holz, denn hier ist keins mehr. Hör
auf zu weinen. Ich bin bald zurück.«
     
    Im Schnee
vor dem Schuppen schlängelten sich die Schlittenspuren seiner früheren Fahrten.
An der Tür war der Schnee zertrampelt und verschmutzt vom vorgestrigen
Holzholen.
    Die
Wolken, die von früh an den Himmel verhängt hatten, lösten sich auf, und es
wurde klar. Es herrschte leichter Frost. Der Park von Warykino trat bis an den
Schuppen heran, wie um dem Arzt ins Gesicht zu blicken und ihn an etwas zu
erinnern. Der Schnee lag hoch in diesem Winter und überragte die Schwelle des
Schuppens, so daß sich der Querbalken der Tür gesenkt zu haben schien. Der
Schuppen sah bucklig aus. Auf seinem Dach lag gleichsam der Hut eines
gewaltigen Pilzes, und die unberührte Schneeschicht hing Shiwago fast bis auf
den Kopf. Direkt über dem Dach stand, wie mit der Klinge im Schnee steckend,
die soeben aufgegangene Sichel des Mondes und leuchtete in grauer Glut.
    Es war
noch Tag und ganz hell, gleichwohl hatte der Arzt das Empfinden, als stünde er
spätabends im tiefen, dunklen Wald seines Lebens. In seiner Seele war eine
solche Finsternis, daß er ganz traurig wurde. Und wie ein Vorbote der Trennung,
wie ein Sinnbild der Einsamkeit leuchtete vor ihm, in der Höhe seines Gesichts,
der junge Mond.
    Müdigkeit
bemächtigte sich seiner. Als er durch die Schuppentür Holz in den Schlitten
warf, raffte er jedesmal weniger Scheite zusammen. Die eisigen Knüppel mit dem
daran haftenden Schnee anzufassen war bei der Kälte selbst mit Handschuhen
schmerzhaft. Die raschen Bewegungen erwärmten ihn nicht. In ihm war etwas
stehengeblieben und gerissen. Er schmähte sein unglückseliges Schicksal und
flehte zu Gott, das Leben der schönen, traurigen, demütigen, herzensguten Frau
zu erhalten und zu bewahren. Der Mond stand noch immer über dem Schuppen und
brannte, ohne zu wärmen, schien, ohne zu leuchten. Plötzlich wandte sich das
Pferd in die Richtung, aus der sie gekommen waren, hob den Kopf und wieherte
zunächst leise und zaghaft, dann laut und zuversichtlich.
    Was hat es
denn? fragte sich der Arzt. Worüber freut es sich? Vor Angst wird es ja wohl
nicht wiehern. Kein Pferd wiehert vor Angst, das wäre ja dumm. So blöd wird es
ja nicht sein, mit seiner Stimme den Wölfen ein Zeichen zu geben, wenn es sie
gewittert hat. Wie lustig es ist! Es freut sich wohl auf zu Hause, will zurück.
Warte, gleich geht's los.
    Shiwago
sammelte im Schuppen zum Anheizen noch Späne und ein großes Stück

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