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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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hochaufgeschossenen
Gestalten bei Bekannten, wenn diese Gesellschaft hatten, verkrochen sich
unauffällig in eine Ecke und verbrachten den Abend schweigend, ohne zur
Unterhaltung beizutragen.
    Der hagere
Arzt sah in seiner häßlichen Kleidung wie ein Wahrheitssucher aus dem einfachen
Volk aus, sein junger Begleiter aber wie der gehorsame, ihm blind ergebene
Schüler. Wer war dieser junge Gefährte?
     
    Den
letzten Teil seines Weges, nicht mehr weit von Moskau, hatte Shiwago mit der
Eisenbahn zurückgelegt, den erheblich größeren ersten Teil war er zu Fuß
gegangen.
    Der
Anblick der Dörfer, durch die er kam, war nicht besser als das, was er während
seiner Flucht aus der Gefangenschaft in Sibirien und im Ural gesehen hatte.
Nur war er damals im Winter durchs Land gegangen, und diesmal war es
Spätsommer, ein warmer, trockener Herbst, was alles sehr erleichterte.
    Die Hälfte
der Dörfer, durch die er kam, war menschenleer wie nach einem feindlichen
Feldzug, die Felder waren verlassen und nicht abgeerntet, und das waren in der
Tat die Folgen eines Krieges, nämlich des Bürgerkriegs.
    Zwei oder
drei Tage lang, Ende September, führte sein Weg am abschüssigen Ufer eines
Flusses entlang. Die Strömung trieb ihm entgegen, der Fluß lag zu seiner
Rechten. Links von ihm erstreckten sich bis zu der mit Wolken vollgetürmten
Horizontlinie endlose Felder, nur selten von Laubwäldern unterbrochen,
vornehmlich Eichen, Ulmen und Ahorn. Die Wälder zogen sich in tiefen Schluchten
zum Fluß, deren Hänge die Straße durchschnitten.
    Auf den
nicht abgeernteten Feldern hielten sich die Roggenkörner nicht mehr in den
überreifen Ähren und rieselten zu Boden. Shiwago stopfte einige Hände voll in
den Mund, zermahlte sie mühsam mit den Zähnen und ernährte sich auf diese
Weise in den schweren Zeiten, wenn er keine Möglichkeit fand, aus den Körnern
Grütze zu kochen. Sein Magen hatte Mühe, das rohe, schlechtgekaute Futter zu
verdauen.
    Shiwago
hatte noch nie Roggen von so unheilverkündend brauner Farbe alten
nachgedunkelten Goldes gesehen. Normalerweise, wenn rechtzeitig geerntet
wurde, sah das Korn viel heller aus.
    An diese
rot, ohne Feuer brennenden, an diese stumm um Hilfe schreienden Felder grenzte
in kalter Ruhe ein gewaltiger, schon dem Winter zugewandter Himmel, über den
wie Schatten über ein Antlitz unaufhaltsam langgestreckte, geschichtete
Schneewolken mit schwarzer Mitte und weißen Rändern glitten.
    Und alles
befand sich in Bewegung, langsam, gleichmäßig. Der Fluß strömte. Ihm entgegen
lief die Straße. Auf ihr schritt Juri Shiwago dahin. In der gleichen Richtung
wie er zogen die Wolken. Aber auch die Felder verharrten nicht unbeweglich. Auf
ihnen regte sich etwas, sie waren erfaßt von einem winzigen unaufhörlichen
Gewimmel, das Ekel erregte.
    In nie
gesehener, nie dagewesener Menge hatten auf den Feldern die Mäuse geheckt. Sie
flitzten über Gesicht und Hände des Arztes, sie huschten durch seine Ärmel und
Hosenbeine, wenn ihn die Nacht auf dem Feld ereilte und er sich irgendwo am
Rain schlafen legen mußte. Bei Tag sausten ihre unermeßlichen,
herausgefressenen Schwärme zu seinen Füßen über den Weg und wurden zu
schlierigem, piepsend zappelndem Matsch, wenn er auf sie trat.
    Furchteinflößende,
verwilderte, zottige Hofköter folgten ihm in respektvollem Abstand und
wechselten Blicke, als ratschlagten sie, wann sie sich auf ihn stürzen sollten,
um ihn zu zerfleischen. Sie ernährten sich von Aas, verschmähten aber auch die
Mäuse nicht, von denen die Felder wimmelten, sie beäugten den Arzt von weitem
und folgten ihm zuversichtlich, wobei sie ständig auf etwas warteten.
Merkwürdigerweise mieden sie den Wald, dann blieben sie allmählich zurück,
kehrten um und verschwanden.
    Wald und
Feld bildeten völlige Gegensätze. Die Felder waren ohne den Menschen verwaist, als
hätte sein Verschwinden sie einem Fluch überantwortet. Die Wälder ohne den
Menschen hingegen waren in der Freiheit aufgelebt wie freigelassene Häftlinge.
    Normalerweise
ließen die Menschen, hauptsächlich die Dorfkinder, die Nüsse nicht reif werden
und rupften sie schon grün ab. Jetzt waren die bewaldeten Hänge und Schluchten
dicht mit unberührtem, rauhem, goldenem Laub bedeckt, das infolge der
herbstlichen Glut verstaubt und vergröbert schien. Darin hingen hübsch
gespreizt, wie gebunden oder geknotet, zu dreien und vieren zusammengewachsene
Nüsse, reif und bereit, aus ihren Hüllen zu fallen, noch aber sich

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