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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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darin
haltend. Shiwago knackte und kaute sie endlos während seiner Wanderung. Seine
Hosentaschen und sein Schultersack waren mit ihnen vollgestopft. Eine Woche
lang bildeten die Nüsse seine Hauptnahrung.
    Er hatte
das Gefühl, daß er die Felder schwerkrank, im Fieberdelirium sähe, den Wald
hingegen im lichten Zustand der Genesung, und er glaubte, daß im Wald der
Herrgott wohnte, über die Felder aber sich das spöttische Lächeln des Satans
schlängelte.
     
    In diesen
Tagen seiner Wanderung erreichte Doktor Shiwago ein niedergebranntes, von
seinen Bewohnern verlassenes Dorf. Vor dem Brand hatte es aus einer einzigen
Häuserzeile bestanden, zwischen der und dem Fluß die Straße verlief. Die
Flußseite war unbebaut.
    In dem
Dorf waren einige wenige Häuser heil geblieben, auch sie außen
brandgeschwärzt. Sie waren jedoch ebenfalls leer und unbewohnt. Die übrigen
Häuser hatten sich in verkohlte Schutthaufen verwandelt, aus denen die schwarz
verräucherten Ziegelsäulen der Schornsteine aufragten.
    Die hohe
Uferböschung hatte eine Menge Gruben, aus denen die Dorfbewohner Steine geholt
hatten, um sie zu Mühlsteinen zu verarbeiten; davon hatten sie früher gelebt.
Drei solche Mühlsteine, nicht fertig bearbeitet, lagen gegenüber dem letzten
Haus des Dorfes, einem der heil gebliebenen. Wie alle anderen stand es leer.
    Shiwago
ging hinein. Es war ein stiller Abend, aber kaum hatte er das Haus betreten,
folgte ihm ein Windstoß. Auf dem Fußboden stoben Büschel von Heu und Werg nach
allen Seiten, und an den Wänden schaukelten Papierfetzen. Alles im Hause
bewegte sich raschelnd. Piepsend liefen Mäuse davon, von denen es hier wimmelte
wie überall in der Umgebung.
    Shiwago
verließ das Haus. Hinter den Feldern ging die Sonne unter. Ihr goldener Schein
legte sich wärmend auf das gegenüberliegende Ufer mit seinen Landzungen voller
Büsche, deren Spiegelbilder bis in die Mitte des Flusses blinkten. Shiwago
überquerte die Straße und setzte sich auf einen der Mühlsteine im Gras, um
auszuruhen.
    Vor ihm
schob sich der langhaarige, hellblonde Kopf eines Halbwüchsigen über die
Uferböschung, dann folgten Schultern und Arme. Er kam vom Fluß einen Pfad
herauf, einen Eimer Wasser in der Hand, sah den Arzt und blieb stehen.
    »Soll ich
dir zu trinken geben, guter Mensch? Tu mir nichts zuleide, ich rühr dich auch
nicht an.«
    »Danke.
Gib mir was, ich trinke gern. Komm ruhig näher, habe keine Angst. Warum sollte
ich dir etwas tun?«
    Der
Wasserträger, der nun ganz heraufkam, war barfuß, zerlumpt und zottelhaarig.
    Trotz
seiner freundlichen Worte musterte er den Arzt unruhig mit durchdringendem
Blick. Aus unerklärlichen Gründen sonderbar erregt, stellte er den Eimer ab,
lief plötzlich auf den Arzt zu, blieb auf halbem Wege stehen und murmelte: »Das
ist ja... Das ist ja... Aber nein, das kann nicht sein, das kommt mir nur so
vor. Entschuldigen Sie, erlauben Sie mir eine Frage. Sie kommen mir irgendwie
bekannt vor. Aber ja! Aber ja! Der Onkel Doktor?«
    »Wer bist
du denn?«
    »Sie
erkennen mich nicht?«
    »Nein.«
    »Wir sind
doch zusammen von Moskau im selben Waggon gefahren. Ich wurde zur Zwangsarbeit
getrieben. Unter Bewachung.«
    Es war
Wassja Brykin. Er warf sich vor Juri Shiwago zu Boden, küßte ihm die Hände und
weinte.
    Die
Brandstätte war Wassjas Heimatdorf Weretenniki. Seine Mutter lebte nicht mehr.
Bei der Vergeltungsaktion gegen das Dorf und während des Brandes hatte sich
Wassja in einem der Erdlöcher versteckt, und seine Mutter glaubte, er wäre in
die Stadt verschleppt worden, da verlor sie vor Gram den Verstand und ertränkte
sich in dem Fluß Pelga, an dessen Ufer der Arzt und Wassja jetzt plaudernd
saßen. Wassjas Schwestern Aljonka und Arischka lebten nach ungenauen Angaben in
einem anderen Landkreis im Waisenhaus. Shiwago nahm Wassja mit nach Moskau.
Unterwegs erzählte ihm der Junge eine Menge entsetzlicher Geschichten.
     
    »Da, das
Wintergetreide vom vorigen Herbst, die Körner fallen aus. Kaum waren wir mit
der Aussaat fertig, ging das Unglück los. Als Tante Polja wegfuhr. Erinnern Sie
sich an sie?«
    »Nein. Ich
habe sie nie gekannt. Wer ist das?«
    »Wieso
denn nicht? Sie ist doch mit uns gefahren. Pelageja Nilowna Tjagunowa. Offenes
Gesicht, üppig, hellhäutig.«
    »Ach, die
andauernd ihre Zöpfe geflochten und wieder gelöst hat?«
    »Ja, die
Zöpfe! Ja doch! Genau. Die Zöpfe!«
    »Ja, ich
erinnere mich. Warte mal. Die habe ich doch später in Sibirien wieder
getroffen, in

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