Boris Pasternak
wann detonierten Zeitzünderminen. Die Grabenden in
den Gärten unterbrachen immer wieder ihre Arbeit, wenn die Erde unter ihren
Füßen bebte, richteten den gebeugten Rücken gerade, stützten sich auf den
Schaufelstiel, wandten den Kopf in Richtung der Detonation, blickten lange,
ruhten sich aus.
Dort
stiegen zunächst in Säulen und Fontänen, dann in trägen schweren Wucherungen
graue, schwarze, ziegelrote und rauchig feurige Wolken emporgewirbelten
Schutts in die Luft, zerschwammen, entfalteten sich zu Federbüschen, fielen
auseinander, sanken zu Boden. Dann nahmen die Leute ihre Arbeit wieder auf.
Eine der
Wiesen auf der unbebauten Seite war von Büschen umsäumt und von alten Bäumen
beschattet. Sie war gegen die übrige Welt abgeschirmt wie ein einzeln
stehendes, in kühle Dämmerung getauchtes Gehöft.
Auf der
Wiese warteten die Wäscheverwalterin Tatjana, zwei oder drei
Regimentskameraden, ein paar Mann, die mitfahren wollten, und schließlich
Gordon und Dudorow auf das Lastauto, das Tatjana und die ihr anvertraute Regimentshabe
abholen sollte. Diese befand sich in mehreren übereinandergestellten Kisten.
Tatjana wich keinen Schritt von ihnen, aber auch die anderen blieben in ihrer
Nähe, um die Fahrgelegenheit, wenn sie sich bot, nicht zu verpassen.
Es dauerte
lange, schon mehr als fünf Stunden. Die Wartenden hatten nichts zu tun. Sie
lauschten dem unentwegten Geschwätz des plauderfreudigen und vielerfahrenen
jungen Mädchens. Soeben erzählte sie von ihrer Begegnung mit Generalmajor
Shiwago.
»Aber ja.
Gestern war's. Sie haben mich zum General persönlich hingebracht. Generalmajor
Shiwago. Er ist auf der Durchreise hier, interessiert sich für Christina, fragt
alle aus. Augenzeugen, die sie gekannt haben. Da haben sie mich ihm gezeigt.
Das ist ihre Freundin, haben sie ihm gesagt. Und er hat mich hinbestellt. Sie
haben mich also zu ihm hingebracht. Er macht einem überhaupt keine Angst. Gar
nichts Besonderes. Wie alle Leute. Schlitzaugen, schwarze Haare. Na, ich hab
ihm erzählt, was ich weiß. Er hat zugehört und danke gesagt. Und du, hat er
gesagt, wer bist du, wo kommst du her? Ich natürlich, so und so, hab alles
abgestritten. Womit kann ich schon angeben? Ich war Besprisornik. Und
überhaupt. Ihr wißt ja Bescheid. Besserungshäuser, Herumtreiben. Aber er, macht
nichts, erzähl, sagt er, keine Bange, brauchst dich nicht schämen. Na, ich
schüchtern, zuerst bloß paar Worte, da hat er genickt, und ich hab mir ein Herz
gefaßt. Ich hab ja wirklich was zu erzählen. Wenn ihr das hört, ihr glaubt's
mir nicht, dann sagt ihr, die spinnt. Na, er auch. Wie ich fertig war, ist er
aufgestanden und immer auf und ab in der Stube. Sag bloß, meint er, das sind ja
tolle Geschichten. Hör zu, sagt er. Jetzt habe ich keine Zeit. Aber ich finde
dich wieder, keine Bange, ich bestell dich noch einmal her. Ich hätte nie
gedacht, so was zu hören. Und dich laß ich nicht im Stich, hat er gesagt. Ich
muß bloß noch paar Sachen klären, paar Einzelheiten. Womöglich, sagt er, werd
ich noch dein Onkel, und du wirst eine Generalsnichte. Ich schick dich zum
Studium auf die Hochschule, welche du willst. Bei Gott, ich sag die Wahrheit.
Was es nicht alles für Witzbolde gibt.«
In diesem
Moment erschien auf der Lichtung ein langgestrecktes schweres Fuhrwerk mit
hohen Seiten, wie es in Polen und Westrußland zum Einfahren von Getreide
benutzt wird. Den mit zwei Pferden bespannten Wagen lenkte ein Trainsoldat, ein
Fuhrmann, wie man früher sagte. Er sprang vom Bock und begann die Pferde auszuspannen.
Alle, außer Tatjana und ein paar Soldaten, umstanden den Fuhrmann und redeten
auf ihn ein, nicht auszuspannen, sondern sie zu ihrem Ziel zu fahren, für Geld
natürlich. Der Soldat lehnte ab, denn er hatte nicht das Recht, über die Pferde
und den Wagen zu verfügen, und mußte seine Aufträge ausführen. Er brachte die
ausgespannten Pferde irgendwohin und zeigte sich nicht wieder. Alle, die auf
der Erde saßen, standen auf und nahmen auf dem leeren Wagen Platz. Tatjana
setzte ihre Erzählung fort, die vom Erscheinen des Wagens und von den
Verhandlungen mit dem Fuhrmann unterbrochen worden war.
»Was hast
du dem General erzählt?« fragte Gordon. »Wiederhol uns das, wenn du kannst.«
»Warum
nicht?«
Und sie
erzählte ihnen ihre grausige Geschichte.
»Ich hab
wirklich was zu erzählen. Die Leute haben mir gesagt, ich stamme nicht aus
einfachen Verhältnissen. Fremde haben es mir erzählt, vielleicht habe ich
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