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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Tod existiert nicht. Der Tod ist nicht
unser Los. Sie sprachen von Talent, das ist etwas anderes, das ist unser, das
steht uns offen. Talent aber ist im höchsten und weitesten Sinne eine Gabe des
Lebens.
    Der Tod wird nicht mehr sein,
spricht der Evangelist Johannes. Hören Sie, wie einfach er argumentiert. Der
Tod wird nicht mehr sein, weil die Vergangenheit vorüber ist. Das ist fast so
wie: Der Tod wird nicht mehr sein, weil wir das schon kennen, es ist alt und
überdrüssig, und jetzt brauchen wir Neues, und das Neue ist das ewige Leben.«
    Er ging im Zimmer auf und ab,
während er sprach. »Schlafen Sie«, sagte er, trat ans Bett und legte Anna
Iwanowna die Hände auf den Kopf. Nach wenigen Minuten schlief sie ein.
    Jura verließ leise das Zimmer
und sagte Jegorowna, sie solle die Krankenpflegerin wieder hineinschicken. Weiß
der Teufel, dachte er, ich werde zum Scharlatan. Ich bespreche und heile durch
Auflegen der Hände.
    Tags daraufging es Anna
Iwanowna besser.
     
    Anna Iwanowna fühlte sich
immer leichter. Mitte Dezember versuchte sie aufzustehen, aber sie war noch
sehr schwach. Man empfahl ihr, noch schön liegenzubleiben.
    Oft ließ sie Jura und Tonja zu
sich bitten und erzählte ihnen stundenlang von ihrer Kindheit, die sie auf dem
Gut ihres Großvaters, Warykino an dem Fluß Rynwa im Ural, verbracht hatte. Jura
und Tonja waren nie dort gewesen, doch Jura konnte sich nach ihren
Beschreibungen gut die fünftausend Deßjatinen urewigen, undurchdringlichen,
nachtschwarzen Waldes vorstellen, in den sich an zwei oder drei Stellen wie ein
Messer der gewundene reißende Fluß mit dem steinigen Grund hineinschnitt, der
am Ufer der Krügers hoch und steil war.
    Für Jura und Tonja wurden in
diesen Tagen zum erstenmal Kleider zum Ausgehen genäht, für Jura ein schwarzer
Anzug und für Tonja ein Abendkleid aus hellem Atlas mit kleinem Ausschnitt. Sie
wollten die Sachen am siebenundzwanzigsten Dezember auf der traditionellen
Weihnachtsfeier bei den Swentizkis einweihen.
    Die fertigen Sachen wurden vom
Herrenatelier und von der Schneiderin am selben Tag gebracht. Jura und Tonja
probierten sie an, waren zufrieden und hatten sie noch nicht wieder abgelegt,
als Jegorowna kam und sagte, Anna Iwanowna bitte sie zu sich. In den neuen
Kleidern gingen beide zu ihr.
    Bei ihrem Eintreten stützte
sie sich auf den Ellbogen, sah sie an, ließ sie sich umdrehen und sagte: »Sehr schön.
Einfach hinreißend. Ich habe gar nicht gewußt, daß alles schon fertig ist. Dreh
dich noch einmal um, Tonja. Doch, gut. Mir schien, als ob das Leibchen Falten
wirft. Wißt ihr, warum ich euch hergebeten habe? Aber zuerst zu dir, Jura.«
    »Ich weiß, Anna Iwanowna. Ich
habe selbst gebeten, Ihnen den Brief zu zeigen. Sie sind wie Onkel Nikolai der
Meinung, ich hätte nicht verzichten sollen. Einen Moment Geduld. Das Sprechen
schadet Ihnen. Ich erkläre Ihnen alles. Obwohl Sie das alles ja selbst wissen.
Also erstens. Da wäre die Sache mit der Shiwago-Erbschaft, von der die
Advokaten leben und die nur Gerichtskosten bringt, dabei gibt es gar keine
Erbschaft, sondern nur Schulden und Wirrwarr und dazu den Schmutz, der bei
solchen Gelegenheiten aufschwimmt. Wenn sich noch irgend etwas zu Geld machen
ließe, würde ich es dann wohl dem Gericht geschenkt haben, statt es selber zu
nutzen? Aber das ist es ja gerade, der Prozeß ist aufgebauscht worden, und
statt in alldem herumzuwühlen, war es besser, auf meine Rechte an dem
nichtexistierenden Vermögen zu verzichten und es den vorgeschobenen
Konkurrenten und neidischen Usurpatoren zu überlassen. Von den Plänen einer
gewissen Madame Alice, die mit ihren Kindern unter dem Namen Shiwago in Paris
lebt, weiß ich seit langem. Aber es sind neue Ansprüche hinzugekommen, und ob
es Ihnen bekannt ist oder nicht, ich weiß es erst seit kurzem.
    Es ist so, daß mein Vater noch
zu Lebzeiten meiner Mutter für eine verrückte Träumerin schwärmte, die Fürstin
Stolbunowa-Enrizi. Mit dieser Frau hat er einen Sohn, der ist jetzt zehn und
heißt Jewgraf.
    Die Fürstin ist eine
Einsiedlerin. Sie bewohnt mit ihrem Sohn eine Villa am Stadtrand von Omsk, die
sie nie verläßt, und man weiß nicht, wovon sie lebt. Man hat mir eine
Fotografie von der Villa gezeigt. Es ist ein schönes Haus mit fünf Fenstern
ohne Fensterkreuz und mit Stuckmedaillons am Sims. In letzter Zeit habe ich das
Gefühl, als ob dieses Haus mich mit seinen fünf Fenstern böse über die Tausende
Werst, die das europäische Rußland von

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