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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Kiste, die
als Rednerpult diente, drängte sich durch die Zuhörer eine Frau. Sie hatte
nicht die Absicht, auf die Kiste zu steigen, sondern stellte sich neben ihr
auf. Die Leute kannten sie. Stille trat ein. Die Frau gewann die Aufmerksamkeit
der Menge. Es war Ustinja.
    »Sie reden von Sybuschino,
Genosse Kommissar, und von den Augen, die man haben soll, um nicht auf Betrug
hereinzufallen, aber Sie selber, ich hab's gehört, wissen nichts Besseres, als
uns Bolschewiken und Menschewiken zu schimpfen. Bolschewiken und Menschewiken,
was anderes kriegt man von Ihnen nicht zu hören. Aber damit kein Krieg mehr ist
und alles wie unter Brüdern zugeht, das nennt man göttlich, nichts da von
Menschewiken, und daß die Werke und Fabriken den Armen gehören sollen, das hat
nichts mit den Bolschewiken zu tun, das ist menschliches Mitleid. Und den
Taubstummen, den hat man uns auch vor Ihnen schon so oft unter die Nase
gerieben, daß man's gar nicht mehr hören mag. Mit dem haben sie's alle,
wirklich wahr! Was stört Sie denn an dem? Daß er lange stumm war und auf einmal
redet, ohne wen zu fragen? Als ob's das noch nie gegeben hat. Da gibt's noch
ganz andere Sachen! Die bekannte Eselin zum Beispiel. >Bileam, Bileam<,
hat sie gesagt, >ich bitte dich sehr, geh nicht dorthin, es wird dir leid
tun.< Na, man weiß ja, er hat nicht auf sie gehört und ist hingegangen.
Genau wie Sie mit Ihrem Taubstummen. Er hat gedacht, was soll ich auf die Eselin
hören, die ist bloß ein Tier. Verachtet hat er das Vieh. Wie hat es ihm
hinterher leid getan. Ihr wißt ja selber, wie das ausgegangen ist.«
    »Wie denn?« fragte man sie
neugierig aus dem Publikum.
    »Schon gut«, fauchte Ustinja.
»Wenn ihr zuviel wißt, werdet ihr schnell alt.«
    »Nein, lenk nicht ab. Sag, wie
das ausgegangen ist.« Die Stimme ließ nicht locker.
    »Na wie schon, du
aufdringliche Klette! In eine Salzsäule hat er sich verwandelt.«
    »Du spinnst, Gevatterin! Das
war doch Lot. Lots Weib«, wurde gerufen.
    Alle lachten. Der
Versammlungsleiter rief zur Ordnung. Der Arzt ging schlafen.
     
    Am nächsten Abend traf er sich
mit Schwester Antipowa. Er fand sie im Büfettraum. Vor ihr lag ein Berg
Mangelwäsche. Sie plättete.
    Der Büfettraum war eines der
Hinterzimmer im Obergeschoß, die Fenster blickten in den Park. Hier wurde der
Samowar geheizt, das Essen, das mit einem Handaufzug aus der Küche hochkam, auf
die Teller verteilt und das gebrauchte Geschirr zum Abwaschen hinuntergelassen.
Hier wurden die Wirtschaftsunterlagen des Hospitals aufbewahrt. Hier wurden
Geschirr und Wäsche mit den Inventarlisten verglichen, hier ruhte man sich in
der Freizeit aus, und hier traf man sich zum Rendezvous.
    Die Fenster zum Park standen
offen. Es roch nach Lindenblüten, dem bitteren Kümmelaroma dürrer Zweige wie in
alten Parks und ein wenig nach Kohlendunst von dem Herd, in dem Schwester
Antipowa abwechselnd die beiden Bügeleisen erhitzte, mit denen sie plättete.
    »Warum haben Sie gestern nicht
geklopft? Mademoiselle hat es mir erzählt. Aber Sie haben recht getan. Ich lag
schon im Bett und hätte Sie gar nicht reinlassen können. Also, guten Tag.
Vorsicht, machen Sie sich nicht schmutzig. Hier ist Kohle verstreut.«
    »Sie plätten wohl die Wäsche
für das ganze Lazarett?«
    »Nein, das meiste ist von mir.
Sie haben ja dauernd gespöttelt, daß ich nie von hier wegkomme. Diesmal ist es
ernst. Sie sehen, ich lege alles zurecht und packe. Wenn ich fertig bin, geht's
los. Ich in den Ural, Sie nach Moskau. Und wenn Sie irgendwann jemand fragt:
Haben Sie schon mal von einem Städtchen Meljusejew gehört?, werden Sie sagen:
Ich kann mich nicht erinnern. — Und wer ist Schwester Antipowa? - Keine
Ahnung.«
    »Ach, lassen wir das. Wie war
Ihre Reise durch die Landkreise? Wie sieht's aus im Dorf?«
    »Das läßt sich nicht mit zwei
Worten erzählen. Wie schnell die Bügeleisen abkühlen! Geben Sie mir bitte das
andere, wenn's Ihnen nichts ausmacht. Da, in der Herdröhre. Und dafür stellen
Sie dieses hinein. So. Danke. In den Dörfern ist es verschieden. Das hängt von
den Einwohnern ab. In manchen Dörfern ist die Bevölkerung fleißig und
arbeitsam. Da sieht es gut aus. In anderen scheinen nur Säufer zu leben. Da ist
alles verwahrlost. Die sind schlimm anzusehen.«
    »Unsinn. Säufer? Was Sie schon
verstehen. Es ist einfach niemand da, die Männer sind alle bei den Soldaten.
Nun gut. Und wie macht sich das neue revolutionäre Semstwo?«
    »Mit den Säufern haben Sie
unrecht, da

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