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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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so
voller Bruchholz lag, daß er unbegehbar geworden war, schwebte, hoch wie die
Bäume, gewaltig wie die Wand eines großen Hauses, der staubige Duft einer alten
blühenden Linde heran.
    Rechts hinterm Zaun ertönte
von der Straße Geschrei. Dort randalierte ein Urlauber. Türen klappten,
Bruchstücke eines Liedes schlugen mit den Flügeln.
    Hinter den Krähennestern der
Parkbäume zeigte sich ein schwarzroter Mond von ungeheurer Größe. Anfangs
ähnelte er der aus Ziegeln gemauerten Dampfmühle von Sybuschino, später wurde
er gelb wie das Pumpwerk der Eisenbahn in Birjutschi.
    Drunten vor dem Fenster im Hof
war dem Geruch der herrlichen Nacht ein Duft nach frischem Heu beigemengt,
aromatisch wie Tee. Dort stand seit heute eine Kuh, die in einem fernen Dorf
gekauft worden war. Sie war den ganzen Tag unterwegs gewesen, war müde, sehnte
sich nach ihrer alten Herde und nahm kein Futter von ihrer neuen Herrin an, an
die sie sich noch nicht gewöhnt hatte.
    »Aber, aber, laß das, brrr,
nicht doch stoßen, du Teufelin«, redete die Besitzerin ihr flüsternd zu, aber
die Kuh schüttelte ärgerlich den Kopf, dann reckte sie den Hals und muhte
kläglich und überkippend. Hinter den schwarzen Schuppen von Meljusejew blinkten
die Sterne, und von ihnen zogen sich zur Kuh Fäden unsichtbaren Mitgefühls, als
wären sie Viehhöfe anderer Welten, die sie bedauerten.
    Alles ringsum gärte, wuchs,
quoll auf von der Zauberhefe des Daseins. Entzücken am Leben ging wie ein
sanfter Wind in breiter Welle ziellos über die Erde und die Stadt hin, ging
durch Wände und Zäune, durch das Holz der Bäume und die Körper der Menschen und
ließ auf seinem Weg alles erbeben. Um der Wirkung dieses Stroms zu entfliehen,
ging Doktor Shiwago auf den Platz, um zu hören, was auf dem Meeting gesprochen
wurde.
     
    Der Mond stand schon hoch am
Himmel. Alles war von seinem dichten Licht Übergossen wie mit weißer Farbe.
    Vor den Amtsgebäuden mit ihren
Säulen rund um den Platz lagen wie schwarze Teppiche ihre breiten Schatten auf
der Erde.
    Das Meeting war auf der
anderen Seite des Platzes. Wer wollte und genau hinhörte, konnte trotz der
Entfernung verstehen, was dort gesprochen wurde. Aber die Großartigkeit des
Schauspiels lenkte Shiwago ab. Er setzte sich auf die Bank vor der
Feuerwehrausfahrt und achtete nicht auf die Stimmen, die herüberdrangen,
sondern blickte sich um.
    Von den Seiten her mündeten
kleine Gassen auf den Platz. Darin standen baufällige schiefe Häuschen. Der
Schlamm dort war undurchdringlich wie im Dorf. Aus dem Schlamm ragten aus
Weidenruten geflochtene lange Zäune wie in einen Teich geworfene Krebsreusen.
    Die geöffneten halbblinden
Fensterscheiben der Häuser blinkten. Aus den umfriedeten Gärten drängten
feuchte Maiskolben mit blanken, gleichsam in Öl getunkten braunen Wedeln und
Pinseln in die Zimmer. Über die durchhängenden Zäune blickten einzelne blasse,
magere Malven in die Ferne, anzuschauen wie Dörflerinnen im langen Hemd, die
die Hitze aus den stickigen Katen herausgetrieben hat, um frische Luft zu
schöpfen.
    Die vom Mond erleuchtete Nacht
war ebenso erstaunlich wie Barmherzigkeit oder die Gabe der Hellsicht.
Plötzlich fielen in die Stille dieses lichten, glitzernden Märchens die
gemessenen, abgehackten Töne einer bekannten, gleichsam eben erst gehörten
Stimme. Die Stimme war schön, hitzig und überzeugend. Shiwago horchte und
erkannte sie sogleich. Es war der Kommissar Hinz, der auf dem Platz sprach.
    Die Behörden mochten ihn
gebeten haben, sie mit seiner Autorität zu unterstützen, und nun schmähte er
mit viel Pathos die Meljusejewer wegen ihrer Unorganisiertheit und warf ihnen
vor, gar zu leicht dem zersetzenden Einfluß der Bolschewiken zu erliegen, die,
wie er versicherte, die Hauptschuld an den Sybuschinoer Ereignissen trügen. In
dem gleichen Geist, in dem er mit dem Kreischef gesprochen hatte, erinnerte er
an den grausamen und mächtigen Feind und an die Stunde der Prüfungen, die für
die Heimat geschlagen habe. Nach einer Weile begann man ihn zu unterbrechen.
    Aufforderungen, den Redner
nicht zu stören, wechselten mit Widerspruch. Die Protestrufe wurden lauter und
häufiger. Jemand aus der Begleitung von Hinz, der die Versammlungsleitung
übernommen hatte, schrie, Bemerkungen vom Platz aus seien unzulässig, und
mahnte zur Ordnung. Einige verlangten, man solle der Bürgerin aus der Menge das
Wort geben, andere zischten und verlangten, daß nicht gestört würde.
    Zu der umgekehrten

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