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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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wollte es nicht in den
Kopf, daß dieser Baum eine Pflanze war und nicht ein Tier.
    Es war für den Jungen
gefährlich, den furchtbaren Namen seines Vaters zu tragen. Woskoboinikow hatte
mit Zustimmung der Mutter Nina Galaktionowna an höchster Stelle den Antrag
gestellt, daß Nika ihren Familiennamen führen durfte.
    Während er unterm Bett lag,
empört über den Lauf der Dinge auf der Welt, hatte er unter anderem darüber
nachgedacht. Wer war dieser Woskoboinikow, daß er seine Einmischung so weit
trieb? Der konnte eine Lektion gebrauchen!
    Und dann diese Nadja! Hatte
sie etwa das Recht, die Nase hoch zu tragen und mit ihm zu reden wie mit einem
kleinen Kind, bloß weil sie schon fünfzehn war? Er würde es ihr zeigen! Ich
hasse sie, wiederholte er mehrmals für sich. Ich bringe sie um! Ich lade sie zu
einer Bootsfahrt ein, dann stoße ich sie ins Wasser.
    Seine Mutter schien ihm auch
nicht besser zu sein. Natürlich hatte sie ihn und Woskoboinikow beschwindelt,
als sie abreiste. Sie war keineswegs im Kaukasus, sondern hatte schlicht und
einfach auf dem nächsten Eisenbahnknotenpunkt einen Zug nach Norden genommen und
schoß in Petersburg mit den Studenten auf die Polizei. Er konnte ja ruhig in
diesem blöden Loch bei lebendigem Leibe verfaulen. Aber er würde sie alle
überlisten. Er würde Nadja ertränken, das Gymnasium verlassen und zu seinem
Vater nach Sibirien abhauen, um dort einen Aufstand zu entfachen.
    Der Teich war am Rand dicht
mit Wasserlilien bewachsen. Das Boot drang mit trockenem Rascheln durch dieses
Dickicht. In dessen Lücken trat das Teichwasser hervor wie Melonensaft im
dreieckigen Anschnitt der Frucht.
    Der Junge und das Mädchen
pflückten Wasserlilien. Beide griffen nach demselben Stengel, der straff wie
Gummi war und sich nicht abreißen ließ. Er zog sie einander näher, ihre Köpfe
stießen zusammen. Eine Hakenstange schien das Boot zum Ufer zu ziehen. Die Stengel
verflochten sich, wurden kürzer, die weißen Blüten mit dem blutiggelben Inneren
sanken unter die Oberfläche und tauchten, voll Wasser gelaufen, wieder auf.
    Nadja und Nika pflückten
weiterhin Blüten, das Boot neigte sich immer mehr, die beiden lagen nebeneinander
auf der geneigten Bordwand.
    »Ich habe das Lernen satt«,
sagte Nika. »Es wird Zeit, mit dem Leben anzufangen, Geld zu verdienen, unter
Menschen zu kommen.«
    »Ich wollte dich grade bitten,
mir die quadratischen Gleichungen zu erklären. In Algebra bin ich so schwach,
daß ich beinahe die Prüfung hätte wiederholen müssen.«
    Nika argwöhnte in diesen
Worten einen verborgenen Seitenhieb. Natürlich wollte sie ihn zurechtweisen und
ihn daran erinnern, daß er noch klein war. Quadratische Gleichungen! Er hatte
von der Algebra noch keinen blassen Schimmer.
    Ohne zu zeigen, wie verletzt
er war, fragte er gespielt gleichmütig und begriff im selben Moment, wie dumm
das war: »Wenn du groß bist, wen heiratest du dann?«
    »Oh, das ist noch so lange
hin. Wahrscheinlich gar keinen. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht.«
    »Bilde dir bitte nicht ein,
daß mich das sehr interessiert.«
    »Warum fragst du dann?«
    »Du bist dumm.«
    Sie begannen sich zu zanken.
Nika erinnerte sich an seinen Frauenhaß von heute morgen. Er drohte Nadja, sie
zu ertränken, wenn sie nicht mit ihren Frechheiten aufhöre. »Versuch's doch«,
sagte Nadja. Er packte sie um die Taille. Sie rangen miteinander, verloren das
Gleichgewicht und fielen ins Wasser.
    Beide konnten schwimmen, aber
die Wasserlilien schlangen sich um ihre Arme und Beine, und sie hatten noch
keinen Grund. Endlich gelangten sie, im Schlamm einsinkend, ans Ufer. Wasser
troff aus ihren Schuhen und Taschen. Besonders Nika war erschöpft.
    Wäre das früher passiert, in
diesem Frühjahr etwa, dann hätten die beiden, nach solch einer Bootsfahrt
pitschnaß dasitzend, bestimmt gelärmt, geschimpft oder gelacht.
    Jetzt aber schwiegen sie und
wagten kaum zu atmen, bedrückt von der Sinnlosigkeit des Vorfalls. Nadja war
entrüstet und haderte stumm, Nika dagegen tat der ganze Körper weh, als hätte
man ihn mit einem Knüppel auf Arme und Beine geschlagen und ihm die Rippen
gebrochen.
    Endlich sagte Nadja leise, wie
eine Erwachsene: »Idiot!«, und er sagte gleichfalls wie ein Erwachsener:
»Verzeih mir!«
    Sie gingen zum Hause und
hinterließen eine nasse Spur wie zwei Wasserfässer. Ihr Weg führte eine
staubige Steigung hinan, die von Schlangen wimmelte, es war nicht weit von der
Stelle, wo Nika am Morgen die Haselnatter

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