Boris Pasternak
Sie.«
Er trat ans andere Fenster und
beschäftigte sich mit seinen Gläsern und Präparaten. Es wurde schon dunkel.
Nach einer Weile sagte er: »Sie werden sich die Augen verderben. Zu dunkel.
Licht geben sie uns nicht. Gehen wir nach Hause.«
»Ich will noch etwas arbeiten.
Zwanzig Minuten vielleicht.«
»Seine Frau ist Pflegerin bei
uns im Krankenhaus.«
»Wessen Frau?«
»Tarassjuks.«
»Ich weiß.«
»Niemand weiß, wo er steckt.
Er durchstreift das ganze Land. Im Sommer hat er uns zweimal im Krankenhaus
besucht. Jetzt ist er irgendwo im Dorf, führt das neue Leben ein. Er ist einer
von den bolschewistischen Soldaten, die Sie auf den Boulevards und in den Zügen
sehen. Wollen Sie wissen, was dieser Tarassjuk für ein Mensch ist? Hören Sie
zu. Er ist einer, der alles kann. Er ist unfähig, etwas schlecht zu machen. Was
er sich auch vornimmt, die Arbeit gelingt ihm. Genauso war es im Krieg. Er hat
ihn studiert wie jedes andere Handwerk. Er war ein großartiger Schütze. Im
Graben, als vorgeschobener Beobachter. Augen, Hände - erste Klasse! Seine
Auszeichnungen hat er nicht für Tapferkeit bekommen, sondern für treffsicheres
Schießen. So. Jede Arbeit wird für ihn zur Leidenschaft. Er hat auch die
Kriegsarbeit liebgewonnen. Er hat gesehen, das Gewehr ist eine Kraft, die ihm hilft.
Er wollte selber zu einer Kraft werden. Ein bewaffneter Mensch ist nicht mehr
ein Mensch schlechthin. Solche Schützen sind in alten Zeiten Räuber geworden.
Versuche mal einer, ihm jetzt noch das Gewehr wegzunehmen. Dann ertönt
plötzlich der Ruf: >Das Bajonett umdrehen< und so weiter. Er hat es
umgedreht. Das ist die ganze Geschichte. Und der ganze Marxismus.«
»Noch dazu echter Marxismus,
aus dem Leben erwachsen. Was haben Sie denn gedacht?«
Der Prosektor ging zu seinem
Fensterbrett, beschäftigte sich mit den Reagenzgläsern. Dann fragte er: »Na,
wie ist der Ofensetzer?«
»Danke für die Empfehlung. Ein
sehr interessanter Mann. Wir haben uns eine Stunde lang über Hegel und
Benedetto Croce unterhalten.«
»Aber gewiß! Er hat in
Heidelberg seinen Doktor der Philosophie gemacht. Und der Ofen?«
»Fragen Sie lieber nicht.«
»Qualmt er?«
»Das reinste Elend.«
»Dann hat er das Rohr falsch
eingesetzt. Statt es in den Kachelofen einzuschmieren, hat er es wohl durch die
Lüftungsklappe geführt.«
»Nein, in den Kachelofen. Aber
es qualmt.«
»Dann hat er nicht den
richtigen Zug gefunden, sondern ist in den Ventilationskanal geraten. Oder in
das Abzugsloch. Schade, daß Tarassjuk weg ist! Sie müssen's aushalten. Moskau
ist nicht an einem Tag erbaut worden. Einen Ofen heizen, das ist was anderes
als Klavierspielen. Das muß man lernen. Haben Sie einen Vorrat an Brennholz?«
»Woher nehmen?«
»Ich schicke Ihnen einen
Kirchenwächter. Der ist ein Holzdieb. Aus Zäunen macht er Brennholz. Aber ich
warne Sie. Man muß feilschen. Er ist teuer. Oder ich schicke Ihnen die
Kammerjägerin.«
Sie stiegen hinunter zur
Portierloge, zogen die Mäntel an und gingen.
»Wozu die Kammerjägerin?«
sagte der Arzt. »Wir haben keine Wanzen.«
»Wieso Wanzen? Wir reden
aneinander vorbei. Es geht um Brennholz. Sie macht mit allem Geschäfte. Sie
kauft Holzhäuser und Balkengebinde auf und verkauft sie als Brennholz. Eine
seriöse Lieferantin. Passen Sie auf, stolpern Sie nicht in der Dunkelheit.
Früher konnte ich mit verbundenen Augen durch diese Gegend gehen, da kannte ich
jeden Stein. Ich stamme aus dem Pretschistenka-Viertel. Jetzt sind die Zäune
weg, ich gehe mit offenen Augen und erkenne nichts wieder, als wäre ich in
einer fremden Stadt. Aber was für Winkel sind dadurch zum Vorschein gekommen.
Empirehäuschen im Gebüsch, runde Gartentische, morsche Bänke. Dieser Tage bin
ich an solch einem Odplatz vorbeigekommen, wo sich drei Gassen kreuzen. Ich
sah, wie eine hundertjährige alte Frau mit ihrem Krückstock in der Erde
stocherte. >Gott helfe dir, Großmutter<, habe ich gesagt. >Gräbst du
nach Würmern zum Angeln?< Das war natürlich ein Scherz. Da hat sie mir ganz
ernsthaft geantwortet: >Aber nein, Väterchen, nach Champignons.< Und
wirklich, in der Stadt riecht es jetzt wie im Wald nach vermodertem Laub und
nach Pilzen.«
»Ich kenne die Stelle. Sie
liegt zwischen der Serebrjany-Gasse und der Moltschanowskaja, nicht wahr? Wenn
ich dort vorbeikomme, erlebe ich immer wieder Überraschungen. Mal treffe ich
einen, den ich zwanzig Jahre nicht gesehen habe, mal finde ich etwas. Man soll
dort manchmal auch ausgeraubt
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