Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
bizarrer Gestalten, denkwürdiger Abenteuer und furioser Kämpfe. Am Ende stand ein Plan. Ein kühner Plan.
Und nach und nach ging mir auf, dass ich in diesem Plan eine Rolle spielte.
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Man muss bis in die frühen 1990er Jahre zurückgehen, um Caballos Vision verstehen zu können. Damals stellte sich ein Naturfotograf aus Kentucky namens Rick Fisher die naheliegende Frage: Wenn die Tarahumara die zähesten Läufer der Welt sind, warum gewinnen sie dann nicht auch die härtesten Rennen der Welt? Vielleicht war es einfach Zeit, dass sie Herrn Fisher begegneten.
Volltreffer warteten allerorten, so sah es jedenfalls Fisher. Einige entlegene Käffer und die dort veranstalteten Rennen für Sonderlinge werden vom Fernsehen entdeckt, Fisher wird zum Steve Irwin der Vergessenen Stämme, und die Tarahumara bekommen erstklassige PR und werden zu Lieblingen der Medien. Na gut, die Tarahumara sind das publicityscheueste Volk der Welt und haben sich jahrhundertelang jeder Art von Beziehungen mit dem Rest der Welt entzogen, aber …
Nun, mit diesem Hindernis würde sich Fisher später beschäftigen müssen. Er hatte zunächst einmal schwierigere Probleme zu lösen. Zum Beispiel hatte er nicht die geringste Ahnung vom Laufen und sprach kaum ein Wort Spanisch, geschweige denn Rarámuri. Er wusste nicht, wo Tarahumara-Läufer zu finden waren, und es fehlte ihm an Ideen, wie er sie überreden könnte, ihre sicheren Höhlen zu verlassen und ihm in die Welt der Bärtigen Teufel zu folgen. Und das waren nur die weniger wichtigen Einzelheiten: Angenommen, es gelang ihm, ein Auswahlteam von Tarahumara-Läufern zusammenzubekommen, wie zum Teufel konnte er sie ohne Fahrzeuge aus den Canyons heraus- und wie konnte er sie ohne Pässe in die Vereinigten Staaten hineinbringen?
Glücklicherweise verfügte Fisher über einige besondere Begabungen. Ganz oben auf dieser Liste stand sein erstaunliches Orientierungsvermögen; Fisher glich einer dieser Hauskatzen, die bei einem Familienurlaub in Alaska verlorengehen und eines Tages wieder zu Hause in Wichita auftauchen. Seine Fähigkeit, sich in den verwirrendsten Canyons dieses Planeten zurechtzufinden, mag wohl weltweit einzigartig sein, und sie scheint größtenteils auf reinem Instinkt zu beruhen. Als Fisher seine Heimat Kentucky verließ, um an der Universität von Arizona zu studieren, waren Straßengräben das Tiefste, was er bis dahin gesehen hatte. Einmal vor Ort, stürzte er sich jedoch Hals über Kopf in Landschaften, die man eigentlich meidet, wenn man seinen Kopf behalten will. Noch als Student begann er mit der Erforschung der labyrinthartigen Mogollon-Canyons. Er drang in diese Wildnis vor, kurz nachdem der Vorsitzende des Sierra Clubs in Phoenix ebendort bei einer der nicht selten vorkommenden plötzlichen Überschwemmungen ums Leben gekommen war. Fisher, ein junger Mann ohne einschlägige Erfahrung, der mit einer Pfadfinderausrüstung unterwegs war, überlebte nicht nur, sondern kam mit atemberaubenden Fotos von einer verborgenen Wunderwelt zurück.
Selbst Jon Krakauer, der herausragende Abenteuerexperte und Autor von In eisige Höhen, In die Wildnis und Auf den Gipfeln der Welt, war beeindruckt. »Rick Fisher kann mit einigem Recht von sich behaupten, die führende Autorität in Sachen Mogollon-Canyons und der unzähligen Geheimnisse zu sein, die sie bergen«, schrieb Krakauer in einem frühen Stadium von Fishers Karriere, nachdem dieser ihn zu einem »absolut faszinierenden Schnitt durch die Erde« geführt hatte, »wie ich es noch nirgendwo sonst gesehen hatte« – eine Willy-Wonka-Welt aus smaragdgrünen Tümpeln, rosafarbenen Kristalltürmen und unterirdischen Wasserfällen.
Was den Blick auf Fishers anderes besonderes Talent lenkt: Wenn es darum geht, ins Rampenlicht zu kommen und Menschen zu Dingen zu überreden, die sie besser nicht tun sollten, könnte Fisher einen Fernsehprediger beschämen (soweit das überhaupt möglich ist). Man sehe sich nur dieses klassische Anglerlatein an, das Krakauer über einen Schlauchboottrip erzählt, den Fisher Mitte der 1980er Jahre in die Copper Canyons unternahm. Fisher wusste wirklich nicht genau, wohin die Reise ging, obwohl, nach Krakauers Einschätzung, »eine Tour durch eine schreckliche Schlucht […] einer schweren Bergexpedition in den Himalaya entspricht«. Dennoch gelang es ihm, für dieses Vorhaben zwei Gefährten – einen jungen Mann und dessen Freundin – zu gewinnen. Alles klappte hervorragend … bis Fisher das
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