Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Titel: Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher McDougall
Vom Netzwerk:
zutreiben.
    Roger Bannister schrieb einmal: »Wer die Führung übernimmt, muss grimmig sein und Selbstvertrauen haben. Aber auch Furcht muss eine gewisse Rolle spielen, […] es ist keine Entspannung mehr möglich, und alle Vorsicht wird in den Wind geschlagen.«
    Ann hatte Grimmigkeit und Selbstvertrauen zu bieten. Jetzt ließ sie alle Vorsicht fahren und brachte auch die Furcht ins Spiel. Der Ultralangstreckenlauf sollte sein erstes Damenopfer erleben.

14

    Sie ist verrückt! Sie ist … großartig .
    Coach Vigil war ein bedingungsloser Anhänger gesicherter Daten, aber als er sah, wie sich Ann mit ihrer draufgängerischen Alles-odernichts-Taktik auf diese Strecke stürzte, erfreute er sich an der Tatsache, dass es im Ultralangstreckenlauf keine Wissenschaft gab, kein Handbuch für Spielzüge oder Trainingsgestaltung, keine Mehrheitsmeinung. Vigil wusste: Aus dieser freien und unbekümmerten Art, sich selbst zu erfinden, entwickeln sich die großen Durchbrüche (und Kolumbus, die Beatles und Bill Gates würden dieser Feststellung freudig zustimmen). Ann Trason und ihre Weggefährten glichen verrückten Wissenschaftlern, die in Kellerlabors mit ihren Bechergläsern hantierten, ignoriert von der Welt des Sports, aber mit der Freiheit ausgestattet, jedes gängige Prinzip abzulehnen, ob es nun um Schuhwerk ging, um Ernährung, Biomechanik, Trainingsgestaltung … alles .
    Und sie würden sich korrekt verhalten, mit welchen Durchbrüchen sie auch immer aufwarteten. Im Umgang mit Ultralangstrecklern hatte Vigil das erfrischende, den Seelenfrieden fördernde Gefühl, dass es sich hier um lupenreine Laborbewohner handelte. Er wurde nicht durch eine verlogene Superleistung hinters Licht geführt – wie bei den »unglaublichen« Ausdauertaten von Tour-de-France-Fahrern oder bei der gewaltigen Schlagkraft von Homerun-Spezialisten, deren Köpfe plötzlich aussehen wie Melonen, oder bei der atemberaubenden Spurtkraft von Sprinterinnen, die bei einer Olympiade fünf Medaillen gewinnen, bevor sie dann ins Gefängnis wandern, weil sie das FBI bei Fragen zum Umgang mit anabolen Steroiden belogen haben. »Auch hinter dem strahlendsten Lächeln«, sollte ein Beobachter über die in Schande gestürzte Wunderläuferin Marion Jones sagen, »kann sich eine Lüge verbergen.«
    Welchem Lächeln also könnte man trauen? Die einfache Antwort lautet: dem der Freaks im Forst.
    Ultralangstreckler hatten keinen Grund zum Betrug, weil es für sie nichts zu gewinnen gab: keinen Ruhm, keinen Reichtum, keine Medaillen. Niemand kannte ihren Namen oder scherte sich darum, wer bei ihren merkwürdigen Streifzügen durch die Wälder gewann. Sie bekamen nicht einmal ein Preisgeld; für den Sieg bei einem Ultralangstreckenlauf bekommt man nur dieselbe Gürtelschnalle, die auch der Letzte im Ziel erhält. Als Wissenschaftler konnte sich Joe Vigil deshalb auf die bei einem Ultramarathon erhobenen Daten verlassen, und als Fan konnte er die Darbietungen genießen, ohne Verachtung oder Skepsis zu empfinden. In Ann Trasons Blut ist kein Epo, in ihrem Kühlschrank findet man kein geschmuggeltes Blut, und auf ihrem FedEx-Konto gibt es keinen Vermerk über aus Osteuropa importierte Anabolika.
    Vigil wusste: Wenn es ihm gelang, Ann Trason zu verstehen, bekäme er Einblick in das, was ein außergewöhnlicher Mensch leisten kann. Aber wenn er die Tarahumara verstehen würde, dann wüsste er, was jeder Mensch schaffen könnte.

    Ann sog die Luft mit tiefen, bebenden Atemzügen ein. Das letzte Stück den Hope-Pass hinauf war eine Qual, aber sie musste immer daran denken, dass sie auf einer großen Steigung nie mehr überholt worden war, seit Carl sie zusammengestaucht hatte. Vor etwa zwei Jahren waren Carl und sie an einem Regentag gemeinsam gelaufen, als Ann anfing, über den endlosen, rutschigen Anstieg zu meckern, der noch vor ihnen lag. Carl wollte sich das Genörgel nicht länger anhören, also beschimpfte er sie mit dem schlimmsten Ausdruck, der ihm in den Sinn kam.
    »Er nannte mich einen Waschlappen!«, sollte Ann später erzählen. »Das große W! Na gut, ich beschloss, so lange an meinen Kletterqualitäten zu arbeiten, bis ich besser war als er.« Nicht nur besser als Carl, sondern besser als alle anderen; Ann entwickelte sich zu einer derart unermüdlichen Bergziege, dass sie bevorzugt bei Anstiegen aufs Tempo drückte und die Konkurrenten abhängte.
    Aber diesmal, auf dem letzten Stück vor der Hope-Passhöhe, sah sie, wenn sie sich umwandte, wie

Weitere Kostenlose Bücher