Bosmans/Deleu 02 -Totenspur
Stirn. »Ein anderes Missverständnis besteht darin, zu glauben, es gebe nur eine Sorte Serienmörder. In Wirklichkeit unterscheiden wir vier. Aber damit erzähle ich Ihnen wahrscheinlich auch nichts Neues.«
»Reden Sie weiter!«, sagte Nadia Mendonck mit hochroten Wangen. Es klang mehr nach einem Befehl als nach einer Bitte. Die anderen musterten sie verwundert, woraufhin sie sich erschrocken entschuldigte.
Bosmans seufzte und nickte Evelyne Pardieu mürrisch zu, die lächelnd fortfuhr.
»Zunächst einmal wäre da der Typ des Propheten, auch der visionäre Typ genannt. Er hört Stimmen, die ihm befehlen zu morden. Die zweite Sorte sind die so genannten Missionare. Sie verspüren den inneren Drang, die Welt von allen zu säubern, die sich in ihren Augen unmoralisch oder unwürdig verhalten. Dieser Typ wählt meistens Menschen aus bestimmten Bevölkerungsgruppen als Opfer aus, zum Beispiel Prostituierte. Die dritte Sorte sind die Sensationsgierigen. Sie morden nur zu ihrer eigenen Befriedigung, und sie sind die allerschlimmsten. Meist genießen sie nämlich ihre extrem sadistischen Morde. Schließlich haben wir da noch die Lustmörder, die ihre sexuellen Triebe befriedigen müssen. Diese Art Serienmörder ist meist verheiratet, hat Kinder und gilt unter Mitbürgern als idealer Familienvater. Außer diesen vier Kategorien gibt es einen weiteren wichtigen Unterschied, nämlich den zwischen organisierten und unorganisierten Mördern. Was das betrifft, ist ein anderer Irrtum weit verbreitet. Viele glauben nämlich, Serienmörder seien grundsätzlich Einzelgänger, die sich in der Gesellschaft nicht zurechtfinden. In einigen Fällen mag das durchaus zutreffen, in anderen keineswegs. Manche Serienmördertäuschen ihre Opfer bewusst, indem sie sich als gut situierte Personen mit einer autoritären Ausstrahlung präsentieren, die sich auf gepflegte Konversation verstehen, gut gekleidet sind und so weiter … Solche Gewohnheiten sind typisch für organisierte Mörder. Unorganisierte dagegen sind nachlässig gekleidet, waren schlecht in der Schule, haben oft den Job gewechselt und sind meist nachtaktiv. Das Profil dieses Typs entspricht im Grunde dem Einzelgänger, den die meisten Menschen bei dem Begriff Serienmörder vor Augen haben.«
»Damit wären wir beim Stichwort des Tages angekommen, Profil«, sagte Jos Bosmans, der ebenso wie Deleu unruhig wurde, weil Evelyne Pardieu so ausschweifend erzählte, statt wie sonst zügig zur Sache zu kommen.
»Wie sieht es mit einem Täterprofil für unseren Mann oder unsere Frau aus?«
»Gibt es überhaupt weibliche Serienmörder?«, fragte Walter Vereecken.
»Äh, nein, eigentlich nicht. Die einzige echte Serienmörderin, die mir einfällt, mit Ausnahme von schwarzen Witwen und Giftmischerinnen, ist Aileen Wuornos, eine Prostituierte, die nach Belieben ihre Freier geschlachtet und sie im Hotelzimmer neben den mit Sperma gefüllten Kondomen zurückgelassen hat.«
»Gibt es denn nun ein Profil?«, fragte jetzt Bosmans ganz direkt.
»Nein«, lautete die mindestens ebenso direkte Antwort.Und bevor sie jemand unterbrechen konnte, erklärte Evelyne Pardieu: »Erstens eignen sich nicht alle Fälle, nicht mal Mord oder Vergewaltigung, zur Erstellung eines Täterprofils. Wobei meist Serienverbrecher und extrem gewalttätige Menschen dafür in Frage kommen. Im Grunde ist es ganz einfach. Tötungsdelikte, die am stärksten von einem gewöhnlichen Mord abweichen, sind am besten dazu geeignet, ein Profil des Täters zu entwerfen. Also, je gewalttätiger das Verbrechen, desto wahrscheinlicher gelingt eine Profilierung. In diesem Fall … Tut mir leid, aber das hier sind eigentlich ganz gewöhnliche Morde. Die extremen Verstümmelungen dienen meiner Meinung nach nur dazu, die Identifizierung der Toten zu erschweren. Ich kann wirklich nichts Sinnvolles über den Täter sagen. Hier ist ein Psychopath oder eine Psychopathin am Werk, der oder die aus materieller Gewinnsucht über Leichen geht. Das war’s.« Evelyne Pardieu zuckte mit den Schultern und blickte entschuldigend in die Runde.
Bosmans ergriff als Erster das Wort: »Also haben wir im Grunde noch keinerlei konkrete Anhaltspunkte. Sie können auch keine Täter oder eine bestimmte Tätergruppe von vornherein ausschließen?«
»Jemand wie ich kann helfen, wenn Morde einen speziellen Charakter aufweisen oder wenn ein Verbrechen lange Zeit unaufgeklärt bleibt. Doch leider trifft keine dieser Voraussetzungen auf die beiden aktuellen
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