Bosmans/Deleu 03 -Ins blanke Messer
behauptet, diesen Zettel noch nie gesehen zu haben, aber seine Fingerabdrücke waren drauf. Außerdem hat der Graphologe seine Handschrift identifiziert.«
Die Stille wog noch schwerer als alle sieben Todsünden zusammen.
»Was hätte er sonst tun sollen? Schmierfinken wie dieser Bels, die ihre Informanten preisgeben, können in seiner Branche sofort aufgeben.« Bosmans’ Tonfall wirkte völlig unbeteiligt, als rede er über den Wetterbericht für das Wochenende. Allerdings ein Wochenende ohne Grillfest. Ein Wochenende, das man am besten schnell vergaß. Die nüchterne Stimme seines Freundes ließ Deleus Knie weich werden, denn die Gleichgültigkeit wirkte echt. Dabei wäre es Deleu viel lieber gewesen, wenn ihm Bosmans auf der Stelle hätte Handschellen anlegen lassen. Wenn er ihm eine Hand abgehackt, seine Lippen mit einem glühenden Eisen versiegelt oder seinen Mund mit groben Stichen zugenäht hätte. Aber nein, nichts von alldem geschah. Bosmans tat so, als sei alles ganz normal, und das war das Schlimmste.
Deleu betrachtete seine Hände, die wie leblos auf seinem Schoß lagen. Sie zitterten nicht mehr, die Finger waren ineinander verschränkt und kraftlos wie die Flügel einer gestrandeten Seemöwe.
»Als ich ihn gefragt habe, woher die Verletzungen in seinem Gesicht stammten, versuchte er mir weiszumachen, er sei die Treppe hinuntergefallen. Muss ein ziemlich schlimmer Sturz gewesen sein.« Sein gefühlloser, kalter Blick stand in starkem Kontrast zu Trentels sensationslüsterner Miene. Der Büroleiter glich einer sich wiegenden Kobra, wie er mit seiner runden Brille auf der dünnen Nase dasaß, den Stift im Anschlag, bereit, zuzustechen. Dazu die mitleidlosen, gierigen Augen und die Art, wie er vor und zurück schaukelte.
Deleu vergrub das Gesicht in beiden Händen. Allmählich dämmerte ihm die Wahrheit, die schreckliche Wahrheit und ihre katastrophalen Folgen. Hysterie und Gelassenheit rangen in seinem Inneren miteinander. Er hörte sich atmen, und es kostete ihn die größte Mühe, Luft zu holen, ohne zu keuchen. Es war, als drücke ein Gewicht von hundert Kilogramm auf seine Brust. Dann kam die Scham, die alles verzehrende Scham.
»Warum?« In diesem einen Wort schwangen mehr Gefühle mit als in allen vorherigen Sätzen zusammen. Bosmans’ Stimme zitterte leicht.
Der Ermittler hob die Hände und legte sie wieder in den Schoß, dann sah er seinen Freund lange an. Bosmans’ zerfurchtes Gesicht drückte Kummer aus. Kummer und grenzenlose Enttäuschung.
»Wegen des Geldes.«
»Wegen des Geldes.« Bosmans wandte als Erster den Blick ab und rieb sich über den Stoppelbart.
Trentels stürzte sich wie ein Habicht auf sein Papier.
»Es tut mir leid.«
»Schon gut. Deine Sachen werden dir per Einschreiben nach Hause geschickt. Das Präsidium wirst du von heute an nicht mehr betreten. Natürlich bist du vom Dienst suspendiert. Für …«
»… immer«, ergänzte Deleu tonlos.
Der Untersuchungsrichter schwieg. Er stand auf und verließ sein Büro.
Deleu starrte seinen Rücken an. Das weiße Polohemd, die kräftigen Arme, die breiten Schultern. Das Letzte, was ihm auffiel, waren die Speckrollen auf den Hüften. Maud sorgte offenbar gut für ihren Mann.
»Jos!«
Bosmans sah sich nicht um.
»Jos!«
Es war, als erhielte Jos Bosmans zweimal einen elektrischen Schlag zwischen die Schulterblätter.
Deleu wollte ihm sagen, dass es ihm nicht allein um das Geld gegangen war. Und dass er keine entscheidenden Informationen preisgegeben hatte. Und dass er es wegen Murat Marouf getan hatte, der seiner Meinung nach unschuldig war, denn er wollte ihm eine Chance geben, sich zu verteidigen. Und dass Marouf niemals mit harten Drogen gedealt hatte. Und dass Bosmans lieber diesem Commissaris noch einmal auf den Zahn fühlen solle. Und dass diese jungen Marokkaner keine Schusswaffen besessen hatten. Und dass …
Bosmans warf einen fragenden, verbitterten Blick über die Schulter.
»Schon gut.«
Nachdem der Untersuchungsrichter gegangen war, blieb Dirk Deleu noch etwa fünf Minuten lang reglos sitzen, dann stand er auf und ging hinaus. Ohne Gefühlsregung, leer. Wie eine Marionette.
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D er Fall des Jahres war gelöst. Überall las man es in den Schlagzeilen. DEWOLF VON MAROKKANISCHEM DROGENBARON ERMORDET . KOKAINMORDE AUFGEKLÄRT . DRAHTZIEHER DES MECHELNER DROGENMILIEUS VERHAFTET .
Wollte man den Zeitungsberichten Glauben schenken, war es um Murat Marouf geschehen. Zwar fehlte noch immer sein
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