Bosmans/Deleu 04 -Todeswahn
Blokweg schaltete Deleu das Licht ein und blickte sich um, doch die enge, schwach beleuchtete Diele war leer.
Das Gefühl, heimlich beobachtet zu werden, ließ ihn trotzdem nicht los, und die knarrenden Stufen verstärkten dieses unbehagliche Gefühl noch.
Er stellte sich vor, wie sich die plumpe Frau hinaufgeschleppt hatte. Stufe um Stufe. Verzweiflung in den Augen. Zum Schlafzimmer am Ende des Flures. Dort wurde das Jagdgewehr aufbewahrt, verborgen hinter den Mänteln in einer Ecke des Kleiderschranks, wo die Kriminaltechniker Kratzer im Holz gefunden hatten, die vermutlich vom Visier der Remington stammten. Die Schrotpatronen lagen auf der Hutablage verstreut, inmitten eines Durcheinanders von Schals und Strümpfen.
Wo und wann hast du die Flinte geladen? Oder stand sie schon geladen im Kleiderschrank? Nein, du hast es selbst getan. Unten. Mit zitternden Fingern.
Sowohl auf den Patronen als auch auf der Waffe waren ihre Fingerabdrücke gefunden worden. Und zwar nur ihre, wie sich Deleu erinnerte.
Der Ermittler öffnete die erste Tür.
Das pastellgrüne Badezimmer war schlicht und sauber, bot jedoch keinerlei Komfort. Als er zur Frisierkommode aus Kiefernholz ging und sich im Spiegel musterte, stieß er sich den Kopf an der Dachschräge an.
Man muss ein Zwerg sein, um sich hier im Stehen die Haare zu kämmen.
Deleu pulte in seinem Augenwinkel. Das Weiß seiner Augen war gelb und rot geädert.
Geschieden, Deleu. Du bist geschieden.
Er schloss die Augen und dachte an seine Begegnung mit Barbara.
Sie hatte gut ausgesehen. Als habe sie einen Weg gefunden, mit dem Schmerz fertig zu werden. Er hatte sie fragen wollen, wie in Gottes Namen sie das anstellte, dann aber wohlweislich geschwiegen. Charlotte war dabei gewesen.
Charlotte!
Als Barbara sie ihm gereicht hatte, hatten seine Hände gezittert. Und auch jetzt war es wieder da, dieses beklemmende Gefühl in seiner Brust. Eine unerklärliche Mischung aus Angst und Glück. Deleu ging ins Schlafzimmer und hockte sich im Schneidersitz vor die Wand, von Gefühlen überwältigt.
Barbara ist Geschichte, Dirk. Es ist vorbei.
So, wie die Leidenschaft allmählich erloschen war, erlosch nun auch ganz langsam die Liebe.
Liebe und Leidenschaft. Wasser und Feuer.
Deleu griff nach seinem Handy und wählte die Nummer von Nadia Mendonck. Zusammenzuziehen kam augenblicklich nicht mehr in Frage. Er dachte an den vorangegangenen Abend zurück.
Sie hatten gechattet. Als befänden sie sich an entgegengesetzten Enden der Welt. Deleu lächelte, denn Nadia Mendonck wohnte kaum fünfhundert Meter Luftlinie von ihm entfernt.
Nach dem üblichen anzüglichen Geplauder hatte ihr Dialog plötzlich eine unerwartete Wendung genommen.
Seine Kollegin und Ex-Geliebte hatte ihm erzählt, dass sie den Tod ihres Freundes Rutger noch immer nicht verkraftet hatte.
Deleu konnte sich in allen Einzelheiten an jenen Abend erinnern. Sie hatten zusammen in der Kneipe gesessen, als ihr der Vater ihres Freundes die traurige Mitteilung überbracht hatte. Aber diese Erinnerung war erst wieder in ihm aufgestiegen, als Nadia geschrieben hatte:
First love never dies.
Während sie von sich erzählte, hatte er die ganze Zeit Barbara im Kopf gehabt.
Trotzdem hatte er versucht, sie zu trösten. Er hatte gescherzt. Doch als Nadia
Halt mich ganz fest
getippt hatte, hatte er nicht gewusst, wie er reagieren sollte.
Zu dem geplanten
Ich komme zu dir
hatte er sich dann nicht mehr durchringen können.
Wie fühlst du dich, Nadia? Was denkst du wirklich?
Nach dem vierten Freizeichen unterbrach er die Verbindung. Er steckte das Handy wieder ein und musterte einen unregelmäßigen Riss an der Decke.
Babysachen. Es sind keinerlei Babysachen im Haus!
Dirk Deleu biss sich auf den Zeigefinger und legte die Stirn in Falten.
Keine Babysachen!
Drei Tage, nachdem Barbara erfahren hatte, dass sie erneut schwanger war, hatten sich im ganzen Haus die Babysachen gestapelt.
Hat sie gewusst, dass sie schwanger war? Hat ihr Mann davon gewusst?
Während er das Schlafzimmer erkundete, blätterte er ruhelos durch den Autopsiebericht.
Seit vier Monaten schon. Sie war im vierten Monat schwanger! Natürlich wusste sie es.
Als er die Tür des Kleiderschranks öffnete, wehte ihm ein muffiger Geruch entgegen. Eine Reihe alter Überzieher, altmodische Modelle mit breiten Kragen, die meisten tailliert.
Der Ermittler massierte sich die Schläfen.
Du hast die Waffe geladen, bist runtergegangen, hast dir den Lauf in den Mund
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