Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd
stockte, und er fuhr sich durch das silberweiße Haar.
Pierre Vindevogel fühlte sich unbehaglich. »Nein, wir wollen nur den Kinderwagen untersuchen. Es ist sehr wichtig.«
Roger Wittewrongel reagierte zunächst nicht, gequält von unendlich vielen Fragen. Sie spukten ihm durch den Kopf, brannten ihm auf der Zunge, doch er schwieg, machte eine einladende Geste und begleitete die Beamten ins Wohnzimmer, wo Veerle, seine Frau, das schlafende Baby in den Armen wiegte. Als sie aufschaute und den uniformierten Vanderkuylen sah, hob sie erschrocken eine Hand vor den Mund. »Was ist passiert?«
Wittewrongel ging zu seiner Frau und nahm ihre Hand. »Nichts, Schatz. Noch keine Neuigkeiten.« Er seufzte und streichelte ihr beruhigend über die Schulter. Mit der anderen Hand fuhr er behutsam durch Charlottes Locken. Doch als er aufschaute, waren in den Augen des abgebrühten Geschäftsmannes nur noch Hilflosigkeit und Angst zu sehen. Erst nach einer Weile kehrten Wittewrongels Gedanken wieder in die Gegenwart zurück: Die beiden Beamten hatten fachmännisch den Kinderwagen durchsucht, und der Jüngere der beiden, der Uniformierte mit den Hasenzähnen, deutete mit dem Kopf auf etwas. »Pierre, sieh dir das mal an.«
Der andere, ein nachlässig gekleideter Beamter – er erinnerte an Inspector Columbo, aber mit noch schlechterem Kleidergeschmack –, hielt einen durchsichtigen Kunststoffbeutel auf und nahm mit einer Pinzette einen Papierfetzen heraus. Sein Kollege zog vorsichtig die Matratze aus dem Kinderwagen und schüttelte dann die Daunendecke aus.
»Was ist das? Was ist los?« Die erschrockene Stimme von Veerle Wittewrongel drang durch das Wohnzimmer.
»Nichts Schlimmes. Machen Sie sich keine Sorgen. Das hat nichts mit der Kleinen zu tun. Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir den Kinderwagen mitnehmen?«
»Wozu?«, fragte Wittewrongel. »Warum …?«
»Reine Routine«, unterbrach Pierre Vindevogel den Mann. »Fingerabdrücke, DNA . Wir wollen nichts dem Zufall überlassen.«
»Denken Sie, dass unsere Barbara …« Seine Stimme brach. »Dass sie … Sie hätte den Kinderwagen doch nie einfach so bei Dirk zurückgelassen. Niemals.«
Vindevogel zuckte die Achseln. »Vorläufig haben wir noch keine konkrete Spur, und ich möchte keine Mutmaßungen äußern. Wir müssen genau nach Vorschrift vorgehen, ehe wir uns ein fundiertes Urteil erlauben können. Daher muss ich Sie um etwas Geduld bitten.«
Als er den Kinderwagen vor sich herschob, ertönte es hinter ihm provozierend: »Reine Routine? Damit werden Sie nicht weit kommen, meine Herren. Dadurch sind schon Hunderte von Firmen pleitegegangen.«
Schroff fuhr Pierre herum. Aber als er den vernichtenden Blick der Dame des Hauses sah, presste er die Zähne zusammen, während Wittewrongel nervös auf seinem Stuhl hin und her rutschte.
»Wir halten Sie über alle weiteren Schritte bei unseren Ermittlungen auf dem Laufenden. Bitte bewahren Sie vor allem Ruhe. Und seien Sie versichert, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden.«
»Ist Dirk … Ist der Mann meiner Tochter über alles informiert?«, fragte die Frau nun mit unsicherer Stimme.
Vanderkuylen nickte. Offenbar beruhigte das die alte Dame, denn sie ließ die Hände in den Schoß sinken. Deleus Schwiegervater schwieg und streichelte den Kopf des schlafenden Babys. Dann begann sein Kinn zu zittern, und Tränen schossen ihm in die Augen. »Bitte sagen Sie Dirk, dass er jederzeit vorbeikommen kann. Wenn er will.«
*
Das vergrößerte Foto klebte auf einem Flipchart-Blatt. Jos Bosmans nickte bestätigend. Dann drehte er sich zu Deleu um, der mit der Faust auf den Tisch schlug. »Beherman.
Shit!
Ich hätte es wissen müssen!«
Bosmans schaute ihn fragend an. »Wieso? Inwiefern?«
»Die seltsamen Telefonanrufe.«
Im nächsten Moment kam Pierre Vindevogel ins Büro und rollte die Flipchart-Tafel aus dem Raum, woraufhin Bosmans Deleu am Arm packte und mit sich zog.
Das Gemurmel im überfüllten Besprechungsraum verstummte, als Bosmans und Deleu hereinkamen. Doch die verstohlenen Blicke und das heisere Getuschel drangen nicht zu Deleu durch, der sich in der ersten Reihe auf einen freien Stuhl sinken ließ. Als ihm jemand ermutigend auf die Schulter klopfte, schaute er sich um.
Hinter ihm saß Jan Verstappen, sein ehemaliger Kollege und der Schwiegersohn des verstorbenen Claude Verspaille. Jan Verstappen, der während der Ermittlungen zu den Rassenunruhen in Mechelen seine Uniform an den Nagel gehängt
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