Bostjans Flug - Roman
Welt gehoben, auch ihn hat sie zur Welt gebracht, und es waren nur wenige, die ihr aus den Händen glitten und die Matilda gleich
mitgehen ließ, wogegen andernorts von einer viel größeren Ausbeute Matildas zu hören war, so daß sich dort jeder noch glücklich schätzen konnte, wenn er von Matilda nur beschnüffelt wurde. Črtelovka vergegenwärtigt das Glück sichtbar und fühlbar: Sie hat eine geschickte Hand für das Kindbett, sie ist eng mit der Natur verbunden, sie hört das Pochen der unterirdischen Adern, preßt das Ohr auf den Boden und horcht auf das Grundwasser, sie steht nicht nur gut mit dem Mond, sondern überschreitet auch die Mondsucht, indem sie sie zur Wahrsagerei erweitert, sozusagen durch das Übernatürliche ausbaut und veredelt. Wenn sie der Mond heimsucht, gerät sie in Verwirrung, ihr Blut wird wäßrig und leicht, und schon drängt es sie in die Höhe, damit der Mond sie voll bescheint. Nach dem Hörensagen kann sich Boštjan lebhaft vorstellen, wie es sie über Dächer, Wände und Fassaden trägt, wie sie in Mondnächten dort auf andere Frauen stößt, die einander durchdringen, ohne es zu sehen und zu spüren. Die Besonderheit Črtelovkas besteht darin, daß sie in ihrem Ungeschick bei Vollmond so manche Schramme abbekommt, während sich andere nicht einmal einen Kratzer holen, und daß sie ihre Mondsucht nicht ernster nimmt, als sie es verdient, nämlich als eine Art Schlafkrankheit.
Boštjan, der eben noch kleinmütig vorbeigewischt ist, steht jetzt demütig vor der mondsüchtigen Črtelovka und erwartet, daß sie seine Not erkennen wird, wenn sie ihm tiefer in die Augen schaut. Auftun wird es sich ihr, und Boštjan hofft insgeheim, daß sie ihm unaufgefordert weissagt, vielleicht sogar seinen Herzschmerz beseitigt, ihm aus der Klemme hilft, auf Kommendes hinweist, die Angst sieht, die sich in ihn verbissen hat, zumal sie vielen gar nicht wahrsagen wollte, weil sie sofort durchschaute, wer ein Versucher war, und dem Hinterlisti
gen auf die Schliche kam, die Käuze und die Schlaumeier alle kannte; er jedoch gehört nicht zu dieser Sorte, er ist ein ehrlicher Kerl und in großer Herzensnot. Boštjan setzt sich zu ihr auf die Bank. Črtelovka hilft ihm aus der anfänglichen Verlegenheit und schaut ihm auch in die Augen, Boštjan nimmt die ganze Kraft seines Augenaufschlags zusammen, um herauszufinden, ob ihr Blick tief genug reicht. Sie ist gesprächig und neugierig gestimmt, ihre Rede fließt ungezwungen, sie lenkt das Wasser auf ihre Mühle, während in seiner Mühle alles knarrt, vor lauter Dürre rissig wird. Boštjan hört zu und antwortet, und da von ihr selbst kein Echo kommt, sie allem Anschein nach keine Vorstellung von seinen Qualen hat, überlegt er, ob er seinen Fall nicht lieber gleich offen ansprechen und seine Not bekennen soll, schließlich teilt er schon lange genug die Bank mit ihr, erträgt ihr abgedroschenes Gerede und hört sich ihre Leier an. Soll er es riskieren und mit dem Finger auf sich zeigen, daß er sich in einer üblen Lage befindet, damit sie sagt, ob sie ihn in irgendwelchen Bildern sieht und ob in diesen Bildern auch Lina vorkommt, ob es Klargesichte sind und Klarheit in den Gesichten liegt? Wieso macht sie es nicht, daß er auf der Stelle Lina sieht und sich fühlt wie tags zuvor, als sie aus den Hügeln aufgetaucht war und mit ihm ging? Vergebens wartet der Ungeduldige darauf, daß Črtelovka den Mund zur Verzauberung spitzt und sich auf ihren Nasenflügeln ein Mal bildet, ihr Erkennungszeichen; vergebens wartet er, daß ihre Fingernägel zu blühen beginnen und sie in der Luft herumfuchteln und ihre krummen Zeichen zu einem Kreuz verflechten wird. Doch da hilft kein Drohen und kein Schimpfen, nicht Muh noch Mah ist ihr herauszulocken. Was ist das für ein Teufel, daß sie seine Verzagtheit nicht erkennt und ihm nicht weissagt, nicht weis
sagen will? Aus reiner Vorsicht? Es ist ja wahr, damit ist nicht zu spielen, das ist kein Spaß, da sind sie von der Kanzel her sehr rasch zur Stelle mit dem Schwefel und der Inquisitor mit dem Scheiterhaufen. Boštjan hat das Gefühl, daß aus diesem Mehl kein Teig wird, aus dieser Hefe wird kein Brot: ihre Prophezeiungen haben sich verbraucht, ihre Uhr ist stehengeblieben, ihr Knatterwerk hat ausgeknarrt. Die Frau weiß weder aus noch ein, ihre Zukunft ist versiegt, hat sich in den Falten nach und nach verloren. Als sie jung war, trieb sie Possen und flötete in den verrückten Jahren, jetzt ist sie in den späten und
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