Bote ins Jenseits
an.
»Also schön. Wenn du darauf bestehst… aber wage es nicht, mir hinterher Vorwürfe zu machen! Thores Schwester war gestern hier.«
Mit einiger Befriedigung sah er, wie sie zusammenzuckte.
»Oh!… Was wollte sie?«
»Mit mir reden. Sie glaubt, Thore hatte keinen Unfall, sondern wurde ermordet. Und jetzt verdächtigt sie jemanden, den ich auch kenne.«
»Das ist ja furchtbar!« Sie verschränkte ihre zitternden Hände ineinander. »Glaubst du, sie hat recht?«
»Nein, eigentlich nicht. Die Polizei hätte sicher was bemerkt, wenn es Anzeichen für eine Fremdeinwirkung gegeben hätte. Ich habe versucht, es ihr auszureden, aber sie ist ganz besessen von der Idee. Keine Chance!«
»Und was genau wollte sie jetzt von dir?«
Tibbe rieb sich das Gesicht und atmete tief durch.
»Wenn der Typ hier bei mir auftauchen sollte, will sie, dass ich ihr Bescheid sage. Keine Ahnung, was sie dann vorhat. Ob sie ihn vernehmen will und sich tatsächlich einbildet, ihm ein Geständnis entlocken zu können? Wie gesagt, keine Ahnung.«
Marita machte ein entsetztes Gesicht und hielt sich beide Hände an die Wangen.
»Warum glaubt sie, dass Thores Mörder ausgerechnet hier auftauchen sollte?«, fragte sie mit unverhohlener Angst in der Stimme.
Für ein paar Sekunden starrten die beiden sich schweigend an.
Abrupt riss Marita ihren Blick los und sah auf ihre Uhr.
»Scheiße, ich muss los! Hör zu, sobald ich Feierabend machen kann, komme ich wieder. Du musst mir alles erzählen! Wen sie verdächtigt, warum sie ihn verdächtigt, warum sie glaubt, er kommt zu dir, und so weiter. Ich will alles wissen! Und lass dir schon mal ‘ne gute Ausrede einfallen, warum du mir nichts davon erzählen wolltest.«
Eilig kramte sie ihre sieben Sachen zusammen.
Latente Eifersucht trat seinem Bewusstsein vors Schienbein. Es war vollkommen normal, nach circa zwei Wochen noch nicht über den Verlust eines lieb gewonnenen Menschen hinweg zu sein, und er wusste, dass er gut beraten war, sie in dieser Hinsicht nicht unter Druck zu setzen oder ihr gar von seiner Eifersucht zu erzählen. Zu viel Offenheit konnte durchaus schädlich sein. Dennoch war es ihm ganz eindeutig nicht recht, dass sie dieser Angelegenheit noch so viel Interesse entgegenbrachte.
»Leg dich hin und ruh dich noch ein wenig aus. Nachher wirst du alle Kraft zum Erzählen brauchen«, sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln.
»Bis nachher.«
Kurz bevor sie die Haustür erreichte, erklang der Türgong, und sie kam zurück zu Tibbe ins Wohnzimmer gelaufen.
»Erwartest du jemanden?«, flüsterte sie.
»Eigentlich nicht.«
»Ob er es ist?«
Tibbe erhob sich seufzend von seinem Sofa und schlurfte in Richtung Tür.
»Es gibt da einen Weg, das herauszufinden.«
Der Vergeltungsbote dritten Ranges Gregor, der einstweilige Norwich Terrier und Neumitglied der großen Jenseitsgemeinschaft Thore Kamp sowie dessen unspektakulär normale Schwester Heike Kamp hatten sich darauf geeinigt, gleich am nächsten Morgen zu dem designierten Mörder zu fahren, und die Köpfe zusammengesteckt, wie man dem Mann am geschicktesten beikommen konnte. Gregor fiel dabei die Rolle des Chefstrategen und des konsekutiven Übersetzers von Hündisch ins Deutsche zu, was die Sache für ihn nicht unbedingt einfacher machte. Speziell in Sachen Strategie versprach die Angelegenheit knifflig zu werden.
Tibbe in die Enge zu treiben würde nicht das Problem sein. Es gab zumindest einen wirklich guten Ansatzpunkt, mit dem man ihn kriegen konnte. Aber um wirklich für Gerechtigkeit zu sorgen und seinem Klienten Satisfaktion zu verschaffen, musste Gregor Tibbe irgendwie dazu bringen, sich den Behörden zu stellen.
Kamp, der von seiner Schwester während ihres Kriegsrates fest in den Armen gehalten wurde, bemerkte, dass der Bote keine wirklich ausgereifte Vorstellung davon hatte, wie er ihren neuesten Verdächtigen dazu bringen sollte, ein Geständnis bei der Polizei abzulegen, und war beunruhigt.
Heike Kamp war in der Nacht auch noch die Ehre zuteil geworden, die erste Sterbliche zu sein, die in einer Niederlassung des Jenseits übernachten durfte – eine Ehre, auf die sie sich, angesichts des nur als mangelhaft zu bezeichnenden Qualitätsstandards der Schlafquartiere, nicht allzu viel einbildete. An Schlaf war allerdings ohnehin nicht zu denken gewesen. Alle drei hatten die Nacht mit Gedanken an den folgenden Morgen verbracht und waren immer wieder alle möglichen Szenarien durchgegangen.
Der
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