Bote ins Jenseits
nach oben? Vorstellungen vom Zerquetschtwerden gingen ihm durch den Kopf, und er fragte sich, ob man im Jenseits wohl noch mal sterben konnte.
Er schüttelte den Kopf und entschied todesmutig, es drauf ankommen zu lassen, und wenn er es nur tat, um diesem vom Pavillon ausgehenden, unheimlichen Gefühl zu entkommen. Er taxierte die Frequenz des Erscheinens der Böden und sprang hinein.
Natürlich kam er sich dumm vor, aber er war trotzdem erleichtert, nicht zerquetscht zu werden. Der Transport führte ihn abermals durch eine dichte Nebelwand. Kamp war neugierig, ob er tatsächlich direkt zur zweiten Ebene gelangen würde, ohne dass er irgendwelche Knöpfe gedrückt oder zumindest, wie auf der guten alten Enterprise, sein Ziel verbal geäußert hatte.
Der Nebel lichtete sich, und Kamp wurde hektisch. Er wusste nicht genau, wann er wo aussteigen musste, und konnte sich nicht vorstellen, dass sein Transportmittel einfach anhalten würde. Die Paternoster, die er kannte, taten so etwas nicht.
Von einem Moment zum anderen stand er vor einem großen Tor. Der Nebel war, genau wie sein Beförderungsmittel, verschwunden. Er drehte sich verwirrt um. Erfahrungen dieser Art würde er in Zukunft wohl noch zu genüge sammeln, immerhin befand er sich jetzt im Jenseits. Er hoffte, sich darauf möglichst schnell einstellen zu können.
Das Tor stand weit offen und offenbarte einen Blick auf die Stadt seiner Wahl. Links und rechts vom Tor befand sich eine Mauer aus dem ihm mittlerweile vertrauten Nebel, der immer dann ins Spiel zu kommen schien, wenn etwas verhüllt bleiben sollte.
Er ging durch das Tor und verspürte eine gewisse Freude angesichts der Tatsache, dass die Stadt ziemlich irdisch aussah. Gleichzeitig verspürte er auch so etwas wie Ernüchterung, denn der Blick, der sich ihm bot, erinnerte vorerst nicht an seine geliebte ehemalige Heimat.
Tyndall wäre, auf den ersten Blick, ohne Probleme als eine ganz normale Stadt mitteleuropäischer Prägung durchgegangen. Reihenhäuser mit Vorgärten und Hochhäuser säumten die von seinem Standpunkt aus einsehbare Straße. Es herrschte sogar Betrieb. Seelen gingen irgendwelchen Beschäftigungen nach, von denen Kamp noch keine Vorstellung hatte. Er konnte sogar, ein ganzes Stück entfernt, Geschäftsgebäude ausmachen. Zumindest erweckten die bunten Schriftzüge und Reklametafeln diesen Eindruck. Ein ziemlich vertrauter und daher beruhigender Anblick. Außer dem ersehnten Anblick eines aus dem Häusermeer herausragenden, gewissen Hauptturmes schien noch etwas zu fehlen, aber er kam vorerst nicht dahinter, was es war.
Zu seiner Rechten erblickte er ein Gebäude, das ihn sofort an die Pförtnerloge seiner Firma denken ließ. Ein Bote saß hinter einem großen, unverglasten Fenster und winkte ihn zu sich heran. Kamp kam der Aufforderung nach. Der Bote stellte sich als Luc, Mitarbeiter des Verwaltungsapparates von Tyndall vor. Er würde ihn später zu seinem neuen Domizil bringen. Zuvor musste er ihn jedoch über ein paar wichtige Dinge informieren.
Kamp wurde um das Gebäude herumgelotst und betrat eine Art Warteraum, in dem bereits vier weitere Seelen saßen. Er nickte zum Gruß, und während er sich auf den letzten freien Platz setzte, betrat auch der Bote den Raum.
»Guten Tag, liebe Seelen. Auch ich darf euch im Jenseits herzlich willkommen heißen. Ihr habt euch für einen Verbleib auf der zweiten Ebene entschieden, und es freut mich sehr, dass eure Wahl dabei auf Tyndall gefallen ist. Gegründet vor etwas mehr als hundert Jahren, sind wir eine der jüngeren, modernen Städte mit einem regen Geschäftsbetrieb, vielen Sehenswürdigkeiten und einer großen Auswahl an Freizeitmöglichkeiten. Ich bin mir sicher, dass ihr euch sehr schnell wohlfühlen werdet. Jedem von euch wird ein Beratungsbote zugewiesen. An ihn könnt ihr euch wenden, wenn ihr, was gerade in den ersten Tagen völlig normal ist, Fragen oder Probleme habt. Er ist natürlich den ganzen Tag über erreichbar. Man hat euch sicher schon darüber unterrichtet, dass es hier keine Nacht gibt und die Notwendigkeit des Schlafes nicht mehr besteht?«
Die Seelen sahen sich gegenseitig fragend an und zuckten mit den Schultern. Eine Frau stellte sich als Sprachrohr zur Verfügung.
»Wenn ich die Gesichter alle richtig deute, nein!«
»Ist doch immer dasselbe! Man kann drauf aufmerksam machen, wie man will, die ignorieren das einfach. Es gibt nichts Fauleres als die Boten aus der Anmeldung!«
Der Bote schüttelte den Kopf
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