Bote ins Jenseits
das ernst gemeint hatte.
»Woran soll ich den identifizieren? An seiner Sonnenbrille?«
»Zum Beispiel. Oder an der Jacke, der Kombination von beidem. Oder einfach nur an der Körperhaltung.«
»Tut mir leid. Erkenne ich nicht. Warum mag er sich so weit weg von den anderen hingestellt haben?«
Gregor knetete sein Ohr. »Das ist ‘ne gute Frage. Irgendwie klingelt es in mir, wenn ich dieses Bild anschaue. Das hat was zu bedeuten, dass der da steht.«
»Wahrscheinlich. Aber wir werden es wohl nie herausfinden«, behauptete Kamp.
»Sag das nicht, mein Freund. Das kann man nie wissen«, widersprach Gregor und lächelte vielsagend.
Ein alter Feind
Als Kamp am nächsten Morgen aus seinem ersten Schlaf seit über einer Woche erwachte, erschrak er kurz über seine unmittelbare Nähe zu einem übel riechenden Fußboden, von dem ihn nur eine mindestens ebenso widerlich riechende Wolldecke trennte. Er war noch nie zuvor als Hund aufgewacht und verspürte, nachdem die Erinnerung an die jüngsten Ereignisse in sein Bewusstsein zurückkehrte, kein Verlangen, dies allzu oft wiederholen zu müssen.
Er hatte den ganzen Rest des vergangenen Tages, unbehelligt von Gregor und nur unterbrochen von zweimal Gassi gehen, mit Nachdenken zugebracht. Da seinem Verstand freiwillig kein Verdächtiger zu entlocken war, zwang er sich schließlich, die übelsten Verschwörungstheorien zu konstruieren, und bekam vor sich selbst Angst, als er bemerkte, wie gut er darin war. Nach ein paar Stunden konnte es von der Putzfrau, über den Bäcker um die Ecke, bis hin zu seinem besten Freund Tibbe jeder gewesen sein. Alle hatten mindestens ein Motiv, und wenn es nur ein Teerand auf dem frisch geputzten Schreibtisch war.
Nachdem er aus der plötzlichen Fülle an Verdachtsmomenten diejenigen herausgefiltert hatte, die am bizarrsten und zu offensichtlich konstruiert waren, blieb nur noch einer übrig.
»Morgen, Schlafmütze. Ich weiß nicht warum, aber eigentlich hab ich dich für einen Frühaufsteher gehalten. Da lag ich wohl falsch?«
Gregor sah aus wie jemand, der in seinen Klamotten eingeschlafen war und sich gerade aus dem Bett geschält hatte. Genau wie am Vortag, er war also schon fertig. Kamp überfiel eine spontane Eingebung, die ihm den ersten Vorteil eines Daseins als Hund offenbarte. Man war immer fertig.
»Wenn ich arbeiten musste, war ich ein gefürchteter Frühaufsteher. An den Wochenenden war ich dann ein berüchtigter Langschläfer. Was das betraf, schlugen zwei Seelen in meiner Brust. Anscheinend hat die Langschläferseele überlebt. Wie spät ist es überhaupt?«
»Halb neun. Kann es sein, dass du gute Laune hast? Ich weiß nicht, ob ich diesen Sinneswandel verkrafte!«, frotzelte Gregor.
Kamp machte Sitz und versuchte, seinem Hundeblick so viel Würde wie möglich zu verleihen.
»Ich bin grundsätzlich guter Laune. Nur in Ausnahmesituationen, und die aktuelle darf man wohl als solche bezeichnen, kann es auch mal bergab gehen. Aber nie für lange. Nur, dass du es weißt.«
Der Bote grinste schmierig und nickte kaum merklich.
»Ich werde es mir merken. Kommen wir also wieder zum Ernst des vergangenen Lebens zurück. Ich hätte jetzt zu gerne ein paar Namen von dir.«
Kamp verdrehte die Augen. Er war doch gerade erst aufgewacht.
»Hab leider nur einen. Stefan Bindernagel. Ein cholerischer Macho mit großen Ego-Problemen. Er konnte mich nicht leiden und ich ihn nicht. Kommt noch dazu aus Köln-Kalk, von der falschen Rheinseite, allein das macht ihn schon verdächtig.«
Gregor legte verwundert den Kopf schief. »Dafür, dass du gestern noch behauptet hast, mit allen Kollegen gleichermaßen gut ausgekommen zu sein, bist du jetzt aber ziemlich in Fahrt.«
Kamp schüttelte den Kopf und stellte sich auf alle viere.
»Das ist kein Arbeitskollege. Das ist der Ex-Freund meiner Fast-Freundin. Am letzten Wochenende vor meinem Tod war ich noch mit ihr aus, und wir sind ihm prompt über den Weg gelaufen. Der Pfosten hat ‘ne richtige Szene gemacht, so richtig mit Rumbrüllen und fast in Tränen ausbrechen und mir Prügel androhen und so. Dabei hatte er selbst schon wieder eine neue weibliche Begleitung im Schlepptau!«
Gregor setzte sich schwerfällig auf sein Bett und machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Was ist?«, wollte Kamp wissen.
Der Bote zögerte, schien nach den richtigen Worten zu suchen.
»Er arbeitet nicht in deiner Firma? Oder hat dort zumindest einen Verwandten oder Bekannten?«
»Ich weiß nicht, ob
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