Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)
Aufnahmegerät zur Hand gehabt, einen simplen MP3-Player …
Ein Funke der geraubten Erzengel-Essenz blieb im Limbus zwischen deiner und unserer Wirklichkeit hängen, fuhr die Greisin mit ernster Stimme fort. Bei jedem Urknall dient die Essenz dazu, die Explosion auszulösen, aus der sich ein neues Universum bildet. Und jedes Mal sickert ein winziger Teil der Essenz in die Wirklichkeit.
»Und diese Macht ist auf die Erde gefallen«, wiederholte Tanya.
Genau. Sie ist hier und hat sich in die Gene einiger ausgewählter Jugendlicher gemischt, die wir »die verlorenen Kinder« nennen. Warum jetzt, und warum es ausgerechnet so junge und unerfahrene Leute wie euch treffen musste – entschuldige meine Direktheit –, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber es ist wohl Teil des göttlichen Plans, nehme ich an.
»Keine Sorge, ich bin nicht beleidigt.« Tanya betrachtete ihre Hände, als verbargen sich hinter den Linien auf ihrer Handfläche geheime Prophezeiungen. »Das heißt also, auch durch meine Adern fließt etwas von diesem Erzengel-Glanz.«
So könnte man es auch ausdrücken. Sehr poetisch. Du musst wissen, dass du mit der richtigen Ausbildung auf einen winzigen Bruchteil dieser Macht zurückgreifen kannst. Damit wärt ihr uns im Kampf eine große, unschätzbare Hilfe. Wenn wir dir nur zeigen könnten, wie …
Der Spiegel verstummte. Jemand hatte den Laden betreten. Er kam wankend wie ein Betrunkener auf sie zu, stieß gegen die Kleiderständer und riss die Ware zu Boden.
Tanya erschrak, als sie Séfora erblickte. Sie rannte ihr entgegen, um sie aufzufangen, bevor sie gänzlich zusammenbrach.
Sie war in einem erbarmungswürdigen Zustand. Die Flügel schleifte sie wie zwei schmutzige Vorhänge hinter sich her. Sie waren blutverschmiert.
»Séfora, sag was!« Paff, paff. Sie gab ihr rechts und links einen Klaps ins Gesicht. Keine Reaktion. »Ninive!« Tanya wandte sich erschrocken zu dem Spiegel um. »Was ist los mit ihr?«
Das Gesicht der Greisin war ein Wunder der Beherrschung, aber diesmal konnte sie ihre Sorge doch nicht ganz verbergen. Halt mich hoch, bat sie.
Tanya nahm den Spiegel und fuhr Séfora mit ihm wie mit einem Scanner über den Rücken.
Sie ist verletzt. Du wirst mir helfen müssen.
»Ich?« Das Blut schoss ihr in die Wangen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Dass sie einmal für einen Engel Krankenschwester spielen musste.
Ja, du! Hör auf, so zimperlich zu sein, und benimm dich wie ein erwachsener Mensch. Séfora braucht dich. Vor allem aber braucht sie deine Hände. Schau dir ihren Rücken an, da, wo die Flügel ansetzen, aber denk nicht im Traum daran, sie zu berühren.
Tanya tat, was man von ihr verlangte. Séfora lag auf der Seite. Sie hatte die Augen zwar geöffnet, aber sie waren an einen fernen, qualvollen Ort gerichtet. Tanya stellte sich mit gespreizten Beinen über sie und bückte sich, um die besagte Stelle am Rücken zu untersuchen.
Die Flügel waren anders als die eines Vogels. Sie bestanden zwar auch aus Federn, das ja. Aber anstatt in einer Membran verankert zu sein, waren sie mit schönstem Filigran einzeln zusammengenäht. Die Federn waren weiß, aber der rubinrote Saum, der sie umfasste, verlieh ihnen ein sonderbar bedrohliches Aussehen. Tanya hatte sich noch nie gefragt, welche Spannweite die Flügel eines Engels hatten, aber jetzt, da Séfora mitten im Bekleidungsgeschäft vor ihr auf dem Boden lag, kam ihr die Fläche gewaltig vor.
Und? Was siehst du?
»Sie hat … einen kleinen Gegenstand im Rücken stecken«, verkündete sie und untersuchte mit vor Ekel verzerrtem Gesicht die Stelle, aus der das Blut hervorquoll.
Wie sieht er aus?
Tanya hielt den Spiegel so nah an die Wunde, dass Ninive den Gegenstand sehen konnte.
Die Greisin knurrte missmutig. Das ist ein Hölleneissplitter.
»Ein was?«
Keine Zeit für Erklärungen. Du musst ihn herausziehen, sofort, sonst wird Séfora die nächsten Minuten nicht überleben.
Tanya starrte entsetzt in den Spiegel.
»Nein, das kann ich ni…«
Tanya , sprach der Geist mit ernster Stimme. Séfora ist jetzt dein Schutzengel. Ich nehme an, du hast schon mal von ihnen gehört, obwohl du vielleicht nicht an sie geglaubt hast. Sie hat sich freiwillig angeboten, nach den verlorenen Kindern zu suchen, aber die Verbindung, die sie mit dir eingegangen ist, besteht dauerhaft. Wenn du sie jetzt sterben lässt, stirbt auch etwas Wesentliches in dir. Verstehst du mich?
Tanya nickte. »Ja. Natürlich. Ich … ich habe ja auch nicht
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