Bottini, Oliver - Louise Boni 01
ging zum Sofa und setzte sich. Ihr fiel auf, dass er sich, anders als am Wochenende, wie ein Fremder bewegte. Mit einer eigenartigen Schüchternheit, als fürchtete er, hinaus-geworfen zu werden.
Sie stellte die Blumen auf den Couchtisch und den Prosecco in den Kühlschrank und sagte: «Komm ins Bett, aber pass auf meine Schulter auf.»
Später, als sie nackt nebeneinander auf dem Bauch lagen, hielt Anatol eine für seine Verhältnisse lange Rede. Er sagte, dass sie auf eine merkwürdige Weise schön sei, auf eine «unterirdische Weise» sozusagen.
Sie sei nicht sofort richtig schön, auf den ersten Blick, weil sie «nicht wirklich schlank» sei und so, «und deine Haare, um die kümmerst du dich nicht so, oder?»
Dafür werde sie, wenn man sie länger ansehe, immer schöner, geradezu fesselnd schön, weil ihre Mimik, ihr Lachen, ihr Schmunzeln, ihr Blick und ihr Körper eine ganz eigene Schönheit besäßen, etwas Warmes, Wildes, Trauriges, Einzigartiges, Echtes, und dann könne man gar nicht mehr wegsehen oder die Finger von ihr lassen.
Sie überlegte, was er damit zum Ausdruck bringen wollte. Aber ihr fiel nichts ein.
Dann sagte Anatol: «Ich muss los.»
Um zehn nach sechs rief Lederle an. Sie hatten noch keine Spur von Fröbick und den Kindern. Falls er sein Handy dabei hatte, war es ausgeschaltet. Bermann und Schneider saßen in Fröbicks Wohnzimmer neben dem Telefon. Seine Frau hatte offenbar von nichts gewusst. Sie hatten ihr nicht alles erzählt, aber genug. «Sie kooperiert», sagte Lederle.
Fröbicks Frau war davon überzeugt, dass ihr Mann bald anrufen würde, wegen der Söhne. Er liebe seine Söhne und sei ein wunderbarer Vater. Er werde anrufen. Vor allem, da er wisse, dass er nicht mehr nach Hause zurückkehren könne.
«‹Ein wunderbarer Vater›», wiederholte Louise.
«Warte», sagte Lederle und schaltete auf die andere Leitung. Sie fand, dass er gehetzt klang, außer Atem, als wäre er während des Telefonierens gerannt. Sie ging ins Schlafzimmer und holte den Bademantel.
Dann war Lederle wieder da. «Das war Villingen-Schwenningen. Sie haben Annegret Schelling, dreimal darfst du raten, wo sie war.»
«Bei ihrer Mutter.»
«Bei ihrer Was -soll-die-Annegret-getan-haben?-
Mutter», sagte Lederle grimmig. «Verdammtes …
Pack. Entschuldige. Hast du das mit den Thai-Mädchen mitbekommen?»
«Ja.»
«Furchtbar, Louise. Furchtbar. Ich …‼
Die Türklingel läutete. «Einen Moment, Reiner.»
Mit dem Telefon in der Hand ging sie zur Tür. Jemand klopfte dagegen. Rasch überschlug sie die Möglichkeiten: ihr Vater, Anatol, Enni, Barbara Franke, Klaus Fröbick. Richard Landen, dessen Frau erst nach der Geburt ihres Kindes aus Japan zurückkehren würde.
Aber es war Katrin Rein.
Seufzend winkte sie sie in die Wohnung. Katrin Rein trug einen schwarzen Lederkoffer in der Hand, eine hellgrüne Bluse unter dem Mantel und hatte die blonden Haare nach hinten gebunden. Sie wirkte un-gewohnt entschlossen. Als ihr Blick auf Louises Bademantel fiel, errötete sie.
«Schuhe ausziehen», sagte Louise. «Was zu trinken? Im Kühlschrank ist Prosecco.» Sie grinste, obwohl ihr nicht danach zumute war.
Lederle fragte, wer gekommen sei. Louise sagte es ihm. Dann beendeten sie das Telefonat.
Sie steckte das Mobilteil in die Tasche des Bademantels. «Sie können auch Kaffee haben.»
Katrin Rein lächelte erschrocken. «Oh, ich vertrage keinen Kaffee, ich habe einen Reizmagen. Haben Sie vielleicht Kamillentee?»
«Du lieber Himmel, nein .»
«Dann trinke ich Leitungswasser, danke.»
«Das vertragen Sie?»
Katrin Rein nickte. Das Leitungswasser in den Stadtvierteln östlich der Bahnlinie beziehungsweise der Merzhauser Straße, sagte sie, stamme aus dem Wasserschlösschen im Sternwald, sei von guter Qualität und schmecke sehr gut, das auf der anderen Seite komme dagegen aus dem Rheintal, sei hart und schmecke nicht besonders. Aber hier sei das Wasser so gut, dass … dass … « Sie könnten sich, ähm, Amazonasfische darin halten.»
«Amazonasfische?»
«Ja.»
«Hm. Können Sie sich das vorstellen, ich und Amazonasfische?»
«Naja … nein. Höchstens vielleicht Piranhas.»
Therapeutin und Patientin lachten.
Während Louise ein Glas füllte, überlegte sie, wer von ihren Bekannten westlich der Bahnlinie wohnte.
Auf Anhieb fielen ihr nur Bermann und Mick ein. Befriedigt schloss sie den Wasserhahn.
Sie setzten sich nebeneinander aufs Sofa. Katrin Rein hatte die Fassung und die
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