Bottini, Oliver - Louise Boni 01
ihr Handy, aber es war nur Lederle. Er fragte, ob sie ihn nicht doch schon früher brauche. Ob er nicht die ganze Nachtschicht übernehmen solle. Er könne, sagte er, ohnehin nicht schlafen. «Danke», sagte sie, «aber bleib bitte zu Hause.»
Dann dachte sie an Richard Landen, stellte sich vor, er säße hinten im Fond. Sie wünschte, er hätte eine andere Geschichte erzählt. Eine, die sie verstand. Deren Ende wichtig war. Hatte Lederle auf dem Weg nach Günterstal erfahren, wie es weiterging?
Sie versuchte erneut, Hollerer oder Niksch über Funk und Telefon zu erreichen. Das einzige Lebens-zeichen war das Besetztstakkato von Hollerers Handy. Erinnerungen an Calambert stiegen in ihr hoch.
Auch damals war sie in Bermanns Wagen mitgefah-ren. Sie waren mit einem Toten und einer Sterbenden zurückgekommen.
«Fahr langsam, da vorn geht’s links ab.»
«Da ist keine Straße.»
« Langsam , Rolf.»
Fluchend bog Bermann ab.
Als sie die Stelle erreichten, wo sie Hollerer und Niksch am späten Nachmittag zurückgelassen hatten, schaltete Bermann die Scheinwerfer aus. Der Himmel war wolkenlos, der Mond noch nicht aufgegangen. Sie liefen ein Stück in den dunkelgrauen Schnee hinein, blieben stehen. Keine Lichter, keine Laute. Ihre Angst wuchs. Zum tausendsten Mal innerhalb einer Stunde betätigte sie die Wahlwiederholung und hörte nur das Besetztzeichen.
Auf dem Rückweg zum Auto entdeckte Bermann die Reifenabdrücke von Hollerers und Nikschs Streifenwagen. Sie führten quer durch den unberührten Schnee. «Schnell», sagte Louise.
Sie folgten dem Wagen in den Spurrillen. Immer wieder vollführten die Abdrücke kleine Schlenker nach links oder rechts. Niksch hatte seinen Spaß gehabt. Als der Boden leicht anstieg, drehten die Räder von Bermanns Dienstmercedes durch.
«Eine halbe Stunde, Luis», sagte Bermann. «Dann fahr ich zurück.» Er nahm eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach.
«Aber lass sie aus», sagte Louise.
Sie ging voran. Die Schneedecke war leicht krustig, der Schnee darunter weich. Bermann trug Turnschuhe und hatte Probleme, mit ihr Schritt zu halten. Sie hör-te, dass er mehrfach ausrutschte.
Vor zwei Jahren war es ähnlich gewesen. Sie hatten die Wagen stehen lassen müssen und waren schweigend durch den Schnee gelaufen. Bermann war ein ums andere Mal ausgerutscht. Dann waren Bermann, Lederle und die anderen in die richtige Richtung gelaufen und sie in die falsche.
Nach zehn Minuten ging es leicht bergab. Die Spurrillen näherten sich einem lichten Wald und verliefen dann parallel dazu. Sie blieb stehen, um zu ver-schnaufen.
Bermann trat neben sie. «Anne hat mich vorhin angerufen», sagte er.
Sie nickte. «Euch geht’s nicht schnell genug, was?»
Bermann schwieg. Er wirkte plötzlich betroffen, sein Blick war nachdenklich. Sie setzte sich wieder in Bewegung.
Kurz darauf sah sie die Fußabdrücke eines einzelnen Menschen. Sie führten aus dem Wald heraus. Die Spurrillen des Streifenwagens zweigten ab und folgten den Abdrücken von den Bäumen weg. Erst jetzt fiel ihr auf, wie klein die Füße des Mönchs waren.
Nach weiteren zehn Minuten stießen sie auf den Streifenwagen. Er stand in zwanzig Metern Entfernung auf freiem Feld. Motor und Lichter waren aus, die Beifahrertür geöffnet. Bermann blieb stehen. Sein Blick wanderte zwischen ihr und dem Wagen hin und her. Er wirkte maßlos irritiert. Sie zog ihre Waffe und versuchte, nicht an Niksch und Hollerer zu denken.
Der Wagen war leer. Auf der Beifahrerablage erkannte sie Handschuhe und eine Thermoskanne. Sie legte eine Hand auf die Motorhaube – kalt. Neben der Beifahrertür hielt sie inne. Der Sitz war voller Krümel.
Eine Bewegung ließ sie den Kopf drehen. Bermann stand vor dem Kofferraum. Auch er hatte jetzt die Pistole in der Hand. Sein Blick war auf ihre Schuhe gerichtet. Sie sah nach unten. Sie stand in einem Wirrwarr von Fußspuren.
Langsam ging sie in die Hocke und sah sich um.
Nichts regte sich. Dunkelheit, Schnee – und Fußspuren, die in mehreren Richtungen auf den Wagen zu-und von ihm wegführten.
Inzwischen kniete Bermann neben ihr. «Ich glaub’s nicht», sagte er und zog das Funktelefon hervor. Seine Wangen waren gerötet, seine Augen vor Konzentration zusammengekniffen, der Atem ging gepresst. So mochte sie ihn beinahe. In solchen Momenten vermittelte er ihr das Gefühl, dass die Störung des Systems nur vorübergehend war. Dass es Chancen gab, das System wieder herzustellen. Daran glaubte Bermann
Weitere Kostenlose Bücher