Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bottini, Oliver - Louise Boni 01

Titel: Bottini, Oliver - Louise Boni 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mord im Zeichen des Zen
Vom Netzwerk:
ernst. Er war höchstens sechzehn. Wann immer sie im Sushi-Imbiss ein paar Straßen weiter aßen, stand er mit müdem Blick hinter dem Tresen. «Ich glaube, er sieht zu viel Fernsehen», sagte er.
    Sie wollte lachen, aber dann spürte sie, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Sie ließ sie laufen.
    «Alles okay, Kommissar?»
    Die Stille des Schnees. Sie tastete nach dem Handy und betätigte die Wahlwiederholung. Noch immer besetzt. Sie wischte die Tränen mit den Händen weg und unterdrückte den Impuls, die Arme auf den Tisch zu legen, den Kopf hineinzubetten und aufzugeben.
    Plötzlich war der Junge neben ihr. «Stehen Sie auf, Kommissar.» Sie zögerte, dann gehorchte sie.
    Der Junge war nur wenige Zentimeter größer als sie. Er legte die rechte Hand auf ihren Unterbauch. Sie zuckte zurück, doch die Hand folgte der Bewegung.
    Wärme breitete sich unterhalb ihres Nabels aus. Sie spürte, dass sie errötete. Ohne es zu wollen, stellte sie sich vor, dass er die Hand weiter hinunterschob. Sie fragte sich, wie sie reagiert hätte. Hätte sie ihn erschossen oder mit nach Hause genommen?
    «Was ist das?», fragte der Junge.
    «Mein Bauch.»
    «Und?»
    «Und was?»
    «Was ist das, Kommissar?»
    «Keine Ahnung. Haut, Muskeln. Mein Darm.»
    «Es ist Ihr Zentrum. Der Sitz der Energie. Es ist der Mittelpunkt des Weltalls.»
    «Ich spüre da im Augenblick bloß Luft.»
    «Ich auch», sagte der Junge und grinste. In dem Augenblick, als sie zu lachen begann, fiel ihr ein, woher sie die Telefonnummer kannte. Sie gehörte zu Hollerers Handy.
    Über Funk waren Hollerer und Niksch nicht zu erreichen. Bei Nikschs Handy erklang das Freizeichen, nach etlichen Sekunden schaltete sich die Mailbox ein.
    Hollerers Handynummer blieb besetzt.
    Per Lautsprecher besorgte sie sich drei Streifenwagen. Fünf Kollegen und eine Kollegin eilten schweigend mit ihr ins Treppenhaus. «Wohin?», fragte die Beamtin, ein blasses blondes Mädchen, das Lucie hieß oder Trudi oder vielleicht auch Susie.
    Sie starrte das Mädchen an. Ja, wohin? Wohin genau sollte sie die Streifen schicken? In den Wald östlich von Liebau? «Polizeiposten Liebau. Warten Sie dort auf mich.»
    Da fiel ihr Bermann ein. Als Dezernatsleiter musste er informiert werden. Sie kehrte um, ging zu seinem Büro, aber er war nicht da. Auf dem Weg nach unten kam er ihr entgegen. Diesmal sah er wütend aus.
    «Auch du hast dich an die Vorschriften zu halten», blaffte er. «Die Streifen bleiben hier.»
    Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er die Durchsage gehört hatte. «Hollerer hat angerufen, da draußen ist jemand», sagte sie, ohne innezuhalten.

    «So ein Blödsinn», sagte Bermann.
    Sie trat dicht an ihn heran. Sein Mund stand halb offen, er roch nach Bier, Zwiebeln, Knoblauch.
    Nikschs Döner und Hollerers Drei Jahreszeiten fielen ihr ein. Sie spürte, dass ihr erneut oder immer noch Tränen über die Wangen liefen. Die große, geheimnisvolle Traurigkeit war wieder da, das dunkle Loch in ihr, in dem Calambert und Mick und Germain sa-
    ßen und ihre Eltern und Filbinger und nun auch Huike und die Angst um den Mönch, Hollerer und Niksch. Plötzlich freute sie sich darauf, morgen mit Bermann zu Almenbroich zu gehen und sich krank-schreiben oder suspendieren oder rauswerfen zu lassen. Sie würde aufgeben, Bermann und Almenbroich und wem auch immer die Entscheidungen über ihre Zukunft überlassen. Erleichterung breitete sich in ihr aus. Endlich aufgeben. Calambert vergessen.

«Blödsinn!», schrie Bermann.
    Sie legte die Arme um seinen Hals, zog ihn an sich.
    Bermann erstarrte. Für einen Moment atmete er nicht einmal. Tief in ihr regte sich vages Erschrecken über das Maß des Ekels, den sie in ihm auslöste. Doch das war jetzt nicht wichtig.
    Sie brachte den Mund an sein Ohr. «Und was, wenn es stimmt, Rolf?», flüsterte sie. «Dann musst du morgen zu Almenbroich, dann ist deine Karriere beendet. Hast du daran mal gedacht?»
    Bermann begann wieder zu atmen, aber seine Muskeln blieben angespannt. Schritte näherten und entfernten sich, Stimmen erklangen, Türen wurden geöffnet, geschlossen. Dann herrschte Stille. Die Stille des Schnees.
    Schließlich schob Bermann sie mit zwei Fingern von sich. «Nur wir beide, Luis», sagte er. «Die Streifen bleiben hier.»
    Bermann schwieg bis Liebau. Seine Anspannung schien nicht nachgelassen zu haben. «Und jetzt?», blaffte er am Ortsausgang. Sie dirigierte ihn in die Dunkelheit östlich des Dorfes. Kurz darauf klingelte

Weitere Kostenlose Bücher