Bottini, Oliver - Louise Boni 01
zwischen Baumstämmen Schemen gesehen hatte.
Schemen, die vielleicht auch nur Baumstämme gewesen waren.
Sie erhob sich. Der Lichtstrahl der Scheinwerfer veränderte sich kontinuierlich. All die Fragen wurden zu einer: Wann, dachte sie, passiert endlich was?
5
BERMANN WAR NICHT DA. Auf ihrem Schreibtisch lag eine Nachricht: Wir haben am Montagmorgen um acht einen Termin bei Almenbroich . Sie fand, dass der Satz sehr höflich klang. Unter anderen Umständen hätte Bermann geschrieben: Mo 8 / Almenbr . Aber mit kranken Polizisten ging er sanfter um.
Sie nahm eine Schere, zerschnitt die Nachricht in Streifen von einem Millimeter Breite und die Streifen in winzige Quadrate. Es befriedigte sie weniger, als sie gedacht hatte. Sie wischte die Quadrate mit der Handkante in den Papierkorb und griff nach dem Telefon. Während eine Auskunftsangestellte nach der Nummer des Kanzan-an suchte, löste sie kleben ge-bliebene Bermann-Quadrate von ihrem Handballen.
Das Klosterbüro war offenbar nicht besetzt. Sie hinterließ eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter.
Anschließend wählte sie die Nummer von Richard Landen, ohne zu wissen, was sie sagen würde, falls er abnahm. Verärgert bemerkte sie, dass sie nervös war.
Es klingelte sechsmal. Dann sagte eine Frauenstimme:
«Ja, hallo?»
Louise wartete. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie gehofft hatte, Landens Frau würde an den Apparat gehen. Sie hatte sie aus dem Zimmer im Obergeschoss holen, ihre Stimme hören wollen. Sie hatte wissen wollen, dass es sie tatsächlich gab.
Als sie auflegte, öffnete sich die Tür. Anne Wallmer trat ein. «Ah, Luis, du bist ja doch da.»
Anne Wallmer war die einzige Frau, die Bermann im Einsatz an seiner Seite duldete. Andererseits betrachtete er sie nicht als Frau, und in gewisser Weise war das nachvollziehbar: Anne Wallmer versuchte, wie Bermann zu sein. Sie gab sich burschikos, lachte laut und anzüglich, trainierte sich im Fitnessstudio Bizepsberge an. Wie Bermann trug sie meistens eine Jeans zur schwarzen Lederjacke. Schneider, Bermanns Intimus, behauptete, wenn niemand hinsehe, benütze sie das Männerklo. Manchmal legten sich Bermann und Schneider im Klo auf die Lauer, aber sie hatten sie nie erwischt.
«Ich brauche den Akt Thielmann», sagte Anne Wallmer. Sie stand vor Louises Schreibtisch, die Hän-de in den Taschen der Jacke, und fixierte sie. Bermann hatte die Nachfolge rasch geregelt: Louise leitete die Ermittlungsgruppe im Fall Thielmann.
«Du kriegst sie morgen.»
«Ich muss mich heute Abend einlesen, Luis.»
Louises Blick glitt zu dem Thielmann-Akt auf dem Schreibtisch. Sie sah auf und schüttelte den Kopf.
«Morgen.» Sie fragte sich, wie weit Anne Wallmer gehen würde. Ob in ihrer aufgepumpten Brust Reste von Kollegialität oder Fairness überlebt hatten.
In diesem Moment klingelte Louises Handy. Sie ging an Anne Wallmer vorbei zu ihrem Anorak. Die Nummer auf dem Display kam ihr vage bekannt vor.
«Ja?» Niemand antwortete. «Hallo?» Am anderen En-de der Leitung herrschte vollkommene Stille. Kein Atem, keine Geräusche im Hintergrund, nichts. Ein merkwürdiger Gedanke schoss ihr durch den Kopf: die Stille des Schnees.
Sie wartete noch einen Moment, dann unterbrach sie die Verbindung und drehte sich um.
Anne Wallmer war gegangen. Den Akt Thielmann hatte sie liegen gelassen.
Louise setzte sich wieder, das Handy in Reichweite. Die Stille des Schnees. Sie ging ins Menü «Ange-nommene Anrufe». Eine Funktelefonnummer. Sie notierte sie, während sie die Verbindung aufbauen ließ. Es war besetzt.
Unruhig starrte sie auf die Bleistiftziffern. Kannte sie die Nummer, oder kannte sie sie nicht?
An der Tür klopfte es, ein Polizeimeister trat ein.
«Besuch für Sie. Sagt, Sie kennen ihn, Hauptkommissar Bermann hat ihn angeblich geschickt.» Er machte einen Schritt zur Seite und wedelte träge mit der Hand. Ein japanischer Teenager erschien.
Sie brauchte einen Moment, um das Gesicht zu-zuordnen. Gelb gefärbtes, abstehendes Kurzhaar, ein-gefallene Wangen, Bartflaum, Grübchen im Kinn. Sie nickte. Der Polizeimeister nickte ebenfalls und ging.
«Ich hab kein Sushi bestellt», sagte sie.
«Ich hab auch keins dabei. Der Kommissar sagt, Sie brauchen einen Dolmetscher.»
Sie schloss die Augen. Aus dem Dunkel der Lidin-nenseiten sprang ihr Bermanns Grinsen entgegen.
«Und jemand, der sich mit Buddhismus auskennt.
Er sagt, es geht um Samurais und Ritualmord.»
Sie öffnete die Augen. Der Junge, Enni, musterte sie
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