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Bottini, Oliver - Louise Boni 01

Titel: Bottini, Oliver - Louise Boni 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mord im Zeichen des Zen
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Landen. «Ich war nie dort, habe aber Fotos gesehen. Ein Anwesen mitten im Wald, wenn ich mich richtig erinnere, gegründet in den Siebzigern. Die Endsilbe ‹-an› bedeutet
    ‹Einsiedelei›; Tempel und Klöster haben im Japanischen normalerweise das Suffix ‹-ji›. Kanzan war ein buddhistischer Laie aus China, ein Dichter und Ein-siedler, ein ‹Freidenker›, wenn Sie so wollen. Im Zen genießt er großen Respekt, weil ihm zeitgenössische Meister einen hohen Grad an Erleuchtung bescheinigt haben.»
    «Glauben Sie an diesen Eso-Kram?», fragte Lederle.
    «Buddhismus ist für Sie Eso-Kram?»
    «Nein», sagte Louise. «Nur anders.»
    Ein paar Sekunden vergingen, dann sagte Landen dicht an ihrem Ohr: «Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen, wenn Sie einverstanden sind.»
    Die Wärme seines Atems auf ihrer Haut verlor sich allzu rasch. Sie nickte. «Da vorn wieder rechts, Reiner», murmelte sie.
    Landen wartete, bis Lederle abgebogen war. Dann begann er mit leiser Stimme. «Anfang des sechsten Jahrhunderts nach Christus kam ein Gelehrter ins Kloster Shaolin auf dem Berg Sung-shan im Norden Chinas. Er hieß Huike. Als Bodhidharma, der erste Patriarch des Zen in China, ihn empfing, bat Huike, er möge ihn als Schüler im Kloster aufnehmen. Trotz langjähriger Studien habe er den inneren Frieden nicht gefunden. Doch Bodhidharma schickte ihn mit der Begründung fort, nur wer nicht aufgebe, sich zu schulen, könne den inneren Frieden erreichen. Huike zog sich vor die Klosterpforte zurück. Wochenlang harrte er dort im Schnee aus und hoffte, dass Bodhidharma seinem Wunsch doch noch entspräche. Aber Bodhidharma zeigte sich unerbittlich. Um zu bewei-sen, dass sein Wille, dem Weg des Buddha zu folgen, unerschütterlich war, schnitt Huike sich die linke Hand ab.»
    Landen schwieg. Sie spürte, dass er sich zurück-lehnte.
    Lederle war inzwischen stehen geblieben. Im Scheinwerferlicht waren noch die Reifenabdrücke des Daimlers und des Streifenwagens von heute Morgen zu erkennen. «Warum sind wir hier, Louise?», fragte er.
    «Wegen der Fußspuren.»
    Lederle stellte den Motor ab, doch keiner stieg aus.
    Sie starrten auf das von dunklen Flecken zersetzte Weiß des Schnees im Scheinwerferlicht. Schließlich drehte Lederle den Kopf nach hinten und sagte: «Und wie geht Ihre Geschichte weiter?»

    «Das ist nicht wichtig», erwiderte Landen.
    Louise folgte den Fußspuren mit Hilfe einer Taschenlampe und im Licht der Scheinwerfer Richtung Hügel. Sie dachte an Huike. Er hatte das Gesicht Taros und saß im Schnee, inmitten eines wachsenden Flecks aus wunderschönen hellroten Kristallen.
    Etwa fünfzig Meter lang blieb die Spur schmal, die Unbekannten waren hintereinander gegangen. Dann fächerte sie sich zu drei parallelen Schneisen durch den Schnee auf. Nebeneinander führten sie auf den flachen Hügel. Dabei waren immer wieder kleine Kreisflächen entstanden: Die Männer – sie war sicher, dass es Männerspuren waren – waren stehen geblieben und hatten sich umgedreht. Waren auch sie verfolgt worden? Oder hatten sie jemanden gesucht?
    Auf der Kuppe des Hügels liefen die Spuren in spitzen Winkeln auseinander. Die Winkel waren gerade so groß, dass die Männer nicht lange gebraucht hätten, um sich wieder zusammenzuschließen. Die linke Spur zeigte geradewegs auf ein fernes, regloses Scheinwerferpaar – vermutlich von Hollerers und Nikschs Wagen.
    Sie folgte ihr ein paar Meter den Hügel hinunter.
    Als der Daimler hinter der Kuppe verschwunden war, griff sie in die rechte Anoraktasche.
    Dann setzte sie sich im Schneidersitz zu Calambert und Huike in den Schnee. Wie dachte der Buddhismus über das Töten? Akzeptierte er es in manchen Fällen als unausweichlich? Sie nahm sich vor, Landen zu fragen, wenn sie einmal mit ihm allein war. Sie würde dafür sorgen, dass das bald geschah.
    Das Scheinwerferpaar schien sich langsam zu bewegen, und sie dachte: Jägermeisterbewegungen.
    Aber dann schälte das Licht mühsam ein Stück Wald aus dem Dunkel.
    Ihr fiel ein, was Lederle gesagt hatte: Nichts, absolut nichts. Hatte sie sich getäuscht? Hatte Bermann Recht? Ihre innere Stimme schwieg.
    Hollerer, Niksch, dann Lederle, jetzt Richard Landen. Sie hatte vier Leute in Bewegung gesetzt, Sonn-tage ruiniert, sich selbst ein idiotisches Ultimatum gesetzt, und nun geschah nichts. Sah man davon ab, dass ein verletzter und verängstigter asiatischer Mönch durch das verschneite Südbaden lief. Und dass sie im Zwielicht des Morgengrauens

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