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Bottini, Oliver - Louise Boni 01

Titel: Bottini, Oliver - Louise Boni 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mord im Zeichen des Zen
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kehrte sie um und fuhr durch Steinbrunn-le-Haut weiter nach Süden. Kurz vor Obermorschwiller bog sie Richtung Illfurth ab. Etwa auf halber Strecke zum Ort Suedwiller stieß sie auf eine Teerstraße Richtung Norden, die in der Hügellandschaft verschwand.
    Sie nahm sie. Wenige Minuten später kamen der Schotterweg und das Holzschild in Sicht.
    Der holprige Untergrund wirkte vertraut. Auf dem Parkplatz standen keine Autos. Während sie durch den Wald zum Kloster ging, fühlte sie sich allein. Wü-
    tend stellte sie fest, dass sie Richard Landen vermiss-te.
    Auf der Lichtung war niemand zu sehen. Gestern um diese Zeit waren die Mönche und Nonnen bei der Meditation gewesen. Sie betrat das stumme Gebäude, klopfte nacheinander an die Türen zu Besucherraum, Küche, Büro, schaute in leere Räume. Als sie zum Eingang zurückkehrte, erklangen die sanften Gongschläge. Sie wartete auf der Treppe vor dem Haus.
    Zuerst kam die hellgraue Katze. Sie lief über die Lichtung, verschwand hinter dem Haus. Dann tauchten der Roshi und die anderen Mönche und Nonnen auf einem der Trittsteinpfade zwischen den feuchten Hügelchen auf.
    Wieder erwartete sie, dass der Roshi sie verjagen würde. Wieder tat er es nicht. Sie reichten einander die Hände. Seine Miene blieb unbewegt. Die Falten schienen sich seit gestern vertieft zu haben. Er fragte:
    « You find Taro?»
    «No. I am sorry.»
    Der Roshi nickte nachdenklich. Sie betraten das Gebäude.
    «You come alone.»
    Sie ahnte, dass er sich nicht auf Richard Landen bezog, sondern auf ihre Kollegen. Am Vormittag ein halbes Dutzend französische und deutsche Polizisten, am Nachmittag nur sie. Schauer liefen ihr über den Rücken. Es gibt viel zu tun, packen wir’s an. Zum ersten Mal fragte sie sich, wie lange sie noch durchhalten würde. Ein paar Stunden? Ein paar Tage? « I need your help.»
    Der Roshi nickte knapp. « We drink tea, we talk.»
    Sie musste lächeln. Trotz der Teeschälchen, die nicht für ihre Hände gemacht waren, ein verlockender Gedanke. Neben dem Roshi zu sitzen, seine Wärme und Kraft zu spüren, mit ihm zu reden. Vielleicht wieder die Augen zu schließen wie bei Enni, den Weg ihres Atems zu verfolgen, das Gefühl wahrzunehmen, dass sich in ihr nicht nur ein dunkler Abgrund des Schreckens befand, sondern vielleicht auch die Erlö-
    sung daraus. Buddha-nature ownnature. Understand?
    Own-nature.
    Doch dafür blieb jetzt keine Zeit. Sie dankte dem Roshi und trug ihr Anliegen vor: Wer vom Kanzan-an hatte Kontakt zu den Klostergästen? Wer konnte ihr Fragen zu Asile d’enfants beantworten? Der Roshi sah sie fragend an. Sie deutete nach oben auf die Decke der Halle. «The children.»
    Er nickte. «You talk Chiyono. Chiyono care guests.»
    Chiyono war Deutsche, um die siebzig und einen Kopf kleiner als sie. Ihr weißes Haar war kurzgescho-ren. Sie trug eine randlose Brille, deren Gestell an einer Seite mit einem Pflaster geklebt war. Ihr Blick wirkte konzentriert und wach.
    Sie saßen in dem kleinen Büro. Louise hatte auf dem Besucherstuhl Platz genommen, Chiyono hinter dem Schreibtisch. Vor ihr lag einer der weißen Ordner aus dem Regal. Louise folgte den langsamen, vorsich-tigen Bewegungen ihrer Hände und Arme mit den Augen, als sie ihn öffnete. You come alone. Der Roshi sah mehr, als ihr lieb war.
    Sie räusperte sich. «Kann ich Sie was fragen?»
    Chiyono sah auf. «Natürlich.»
    «Wie ist Ihr richtiger Name?»
    «Chiyono.»
    «Ich meine, der Name, der in Ihrem Ausweis steht.»
    Chiyono lächelte. «Oh, der. Ich erinnere mich nicht.» Sie beugte sich ein wenig vor, als wollte sie Louise ein Geheimnis anvertrauen. «Er war verbun-den mit einem Menschen, der ein Ich hatte. Diesen Menschen und dieses Ich gibt es seit vielen Jahren nicht mehr.»
    «Ah. Jetzt gibt es Chiyono.»
    «Ja.»
    «Chiyono war eine Zen-Nonne?»
    «Ja.»
    «Und ihr Name ist für Sie eine Art … Programm?
    Eine Einstellung?»
    Wieder lächelte Chiyono. «Ja, sozusagen.»
    «Wofür?»
    «Für den Mond und das Wasser, für das Sitzen, für das Atmen, für den Zen-Geist. Für einen Eimer, der zerbricht.»
    Louise verzog das Gesicht zu einem mürrischen Grinsen.
    Chiyono lachte. «Entschuldigen Sie. Ich würde Ihnen gern mehr erzählen, aber Sie sind in Eile.»
    «Was würden Sie mir erzählen, wenn ich nicht in Eile wäre?»
    «Was würden Sie dann hören wollen?»
    «Zum Beispiel, wie man das alte Ich gegen ein neues austauscht.»
    «Man tauscht es nicht aus. Man überwindet es.»
    «Ah. Und

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