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Bottini, Oliver - Louise Boni 01

Titel: Bottini, Oliver - Louise Boni 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mord im Zeichen des Zen
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einem flüchtigen Blick ins Innere ließ sie die Finger über den Schriftzug auf der linken Heckseite gleiten: SHARAN.
    Langsam ging sie in die Knie. Sie musterte die Reifenabdrücke im getrockneten Erdreich. Asymmetrisches Profil mit zwei Umlaufrillen. Dieselben Spuren wie auf dem Foto, das sie Lederles Akte entnommen hatte. Sie kroch vor das linke Hinterrad. ContiWinterContact TS 790, 215 / 55 R16. Wie Lederle vermutet hatte.
    Der Wagen, der am Sonntag östlich von Liebau und gestern Abend hier gewesen war. Der Wagen, den Ponzelt nicht gesehen hatte.
    Sie richtete sich auf. Sie musste Lederle oder Bermann anrufen. Dann fiel ihr ein, dass Lederle und Bermann sich nicht für den Van interessierten. Dass sie allein war.
    Sie durchquerte das Waldstück, trat aber nicht auf die Lichtung hinaus. Obwohl die Abenddämmerung heraufzog, hätte man sie von den Fenstern im ersten Stock aus sofort gesehen. Kniend lehnte sie sich mit dem Rucksack an einen Baumstamm am Waldrand.
    Von hier aus hatte sie Kloster und Pfad im Blick.
    Wenn bis Mitternacht nichts geschah, würde sie sich ins Kanzan-an schleichen. Wenn vorher jemand zu dem Van ging, würde sie versuchen, dem Wagen zu folgen.
    Es wurde rasch dunkel. Auf halbem Weg zwischen ihr und dem Hauptgebäude des Klosters bildete sich unmittelbar über der Lichtung ein weicher gelber Schimmer. Die Dharma-Halle. Wie mochte ein Teisho ablaufen? Was sagte der Roshi zu den Mönchen und Nonnen? Sie hatte ihm angesehen, dass ihn die Ereignisse nicht unberührt ließen. Dass er sich Sorgen um Taro machte. Sprach er über ihn?
    Der Gedanke an Taro ließ sie frösteln. Kälte musste mit Wärme bekämpft werden. Als sie das Fläschchen zuschraubte, erklangen die weichen, beruhigenden Glockenschläge. Sie schloss die Augen.
    We drink tea, we talk .
    Irgendwann, wenn sie einmal Zeit dafür hatte, würde sie dem Roshi alles erzählen. Chiyono fragen, warum und wie sie geworden war, was sie war. An einem Teisho teilnehmen.
    Sich dem spirituellen Feind stellen.
    Was, dachte sie, fand man in sich, wenn es dort kein Ich mehr gab? Was war own-nature , wenn nicht das eigene Selbst? Wie viele Fragen, wie viele unterschiedliche Antworten, je nachdem, welcher Über-zeugung man anhing. Die einen suchten das Ich, die anderen wollten sich davon befreien. Christen gingen in Kirchen und beteten, Buddhisten gingen in Dharma-Hallen und meditierten. Ganz abgesehen davon, was Juden, Moslems, Hindus taten.
    Was taten Juden, Moslems, Hindus?
    Irgendwann, wenn sie einmal Zeit dafür hatte, würde sie Richard Landen danach fragen. Vielleicht wusste er es. Vielleicht wusste er auch, was neugebo-rene Kinder waren, bevor sie getauft wurden. Waren sie schon Christen, oder waren sie gar nichts?

    Sie grinste. Waren sie womöglich Heiden?
    Eine Frage, die sie ihrem Vater gern stellen würde –
    irgendwann, wenn sie einmal Zeit dafür hatte. Er würde schweigend erblassen. Er war mit den Jahr-zehnten immer kirchentreuer geworden. Immer deutscher, immer kirchentreuer.
    Ein kaum hörbares Knacken ließ sie herumfahren.
    Sie hielt den Atem an und lauschte. Ein kleiner, hellgrauer Körper, der sich entfernte und auf die Lichtung hinaussprang. Die Katze.
    Sie sank zurück. Ihr Puls raste. Sie hatte nicht auf-gepasst.
    Dann war es vollkommen finster. An verschiede-nen Stellen im Erdgeschoss des Kanzan-an flackerten winzige Lichter. Im ersten Stock brannten einige wenige Kerzen in dem langen Gang. Das oberste Geschoss war unsichtbar.
    Wenn die Asile-Leute keine Taschenlampen benutzten, würde sie sie erst spät bemerken. Vielleicht zu spät, um unbemerkt zum Parkplatz und zum Mé-
    gane zurückzulaufen. Dann würde sie ihnen nicht folgen können. Warum hatte sie daran nicht längst gedacht?
    Sie erhob sich. Sie würde in der Nähe des Sharan warten.
    In diesem Moment flammte am Kloster etwa auf Höhe des Eingangs ein kleines, kreisrundes Licht auf.
    Zwei weitere folgten. Sekundenlang blieben sie am selben Ort. Dann bewegten sie sich langsam in ihre Richtung.
    Adrenalin schoss durch ihre Blutbahnen. Sie kamen.
    So leise und doch so schnell wie möglich lief sie zum Parkplatz zurück. Als sie den Sharan erreicht hatte, blieb sie stehen und schöpfte Atem. Und jetzt?
    Hier warten, um zu beobachten, wer einstieg? Zum Mégane laufen, um dem Van folgen zu. können? Sie fluchte wortlos. Es gab zahlreiche gute Gründe, weshalb Polizisten in Teams arbeiteten.
    Dann wurde ihr bewusst, dass sie nicht daran gedacht hatte, sich die Umgebung

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