Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
zu. Er schien außer Atem zu sein, als wäre er gerannt.
Sie ging die letzten Stufen hinunter. »Kein Zufall.«
»Ganz bestimmt nicht.«
Mittlerweile hatte Brenner sich auch wegen Rottweil 1992
informiert. Die Waffen aus Riedingers Keller stammten teilweise tatsächlich vom selben Hersteller. Zavodi Crvena Zastava, eine staatliche Waffenfirma in »Altjugoslawien«, wie er sich ausdrückte. Gezählt hatten er und seine Leute den Inhalt der vierundzwanzig Kartons inzwischen ebenfalls. In dem Depot waren mindestens einhundert Pistolen, mindestens fünfzig Maschinenpistolen, mindestens fünfzig Klein-Maschinenpistolen gelagert gewesen. »Da will jemand Krieg führen. Die Frage ist nur: bei uns oder irgendwo im Ausland?«
»Scheiße«, sagte Louise. »Ruf Bermann an.«
»Wenn ich seine Nummer finde.«
»Du findest sie.«
»Ich denke auch. Eines noch, Luis. In dem Keller war keine Munition. Kein einziger Schuss.«
Zweihundert Waffen, keine Munition.
Günter war erneut aufgestanden. Sie hörte, dass er hustete, sich räusperte. Er machte ein paar Schritte in ihre Richtung, dann drehte er sich um, betrat die Herrentoilette. Ein Mann mit Blasenproblemen, mit Atemproblemen, ganz zu schweigen von den Teamproblemen.
Zweihundert Waffen, keine Munition. Wer brauchte Waffen ohne Munition? Wer kaufte oder verkaufte oder hortete Waffen ohne Munition? Sicher, dachte sie, denkbar war vieles.
Wahrscheinlich aber war: Es gab ein weiteres Depot, und in dem lagen tausende Schuss Munition für Pistolen und Maschinenpistolen aus altjugoslawischer Produktion.
»Viel Glück beim Suchen«, sagte Brenner.
3
NEUN UHR DREISSIG, achtundzwanzig Grad, die Luft draußen stand unbewegt. Sie fuhren mit offenen Seitenfenstern, weil Günter Klimaanlagen nicht mochte. Die Nasenschleimhäute trocknen aus, man kann nicht mehr richtig atmen. Wenigstens an die Füße? Nein, auch nicht an die Füße.
Klimaanlagenluft steigt hoch, von den Füßen bis in die Nase, es dauert nur ein bisschen länger, bis man nicht mehr richtig atmen kann.
Entnervt streifte Louise die Turnschuhe ab. Dann rief sie Brenner an. »Du wolltest mich was fragen.«
»Ach, das machen wir wann anders«, sagte Brenner.
Sie legten auf.
Günter fuhr hektisch, ruckartig, zu schnell. Seine Finger lagen wie eiserne Klauen um das Lenkrad. Beim Fahren atmete er flach. Sie fand ihn auf seine blasse, verkrampfte Weise nicht unattraktiv, vielleicht ein bisschen zu aufgeschwemmt im Gesicht und natürlich ein bisschen zu abweisend. Er war ein paar Jahre älter als sie, doch einen Dienstgrad unter ihr. Einer jener Beamten, die das Land Baden-Württemberg durch den W-8-Kurs vom mittleren in den gehobenen Dienst gehievt hatte.
Acht Wochen Lehrgang ohne Prüfung, die drei Jahre Studium an der Fachhochschule Villingen-Schwenningen samt Staatsprüfung und Diplomarbeit ersetzten. Kein Wunder, dass der eine oder andere Kollege die Nase rümpfte.
Aber Günters schlechter Ruf hatte nichts mit dem W-8-Kurs zu tun.
»Erzähl mal was von dir«, sagte sie.
»Lieber nicht«, sagte Günter.
Sie fuhren in den Tunnel hinein, mussten nach der ersten Kurve im plötzlich dichten Verkehr abbremsen. Überall vor ihnen leuchteten Bremslichter auf. In Schrittgeschwindigkeit ging es weiter. Am Ende des Tunnels konnten sie wieder beschleunigen. Als sie draußen waren, meinte Günter fast fröhlich: »Ich bin kein Fan von Freundschaften zwischen Kollegen.«
»Ich will weiß Gott nicht mit dir befreundet sein.«
»Ich meine, was kann man sich in vier, fünf Minuten schon erzählen?«
»Das Wesentliche.«
»Gut, dann erzähl mir das Wesentliche von dir, und hinterher erzähl ich dir das Wesentliche von mir.«
Sie winkte ab. »Lohnt sich nicht, wir sind gleich da.«
Sie ließen den Wagen am Straßenrand stehen, folgten dem Feldweg zur Brandfläche. Weg und Weide waren von den Reifen der zahlreichen Einsatzfahrzeuge gezeichnet. Wo sich keine Spurrillen befanden, war der Untergrund von der Hitze ausgetrocknet, an manchen Stellen platzte er auf. Das Gras war gelblich und verdorrt. Sie duckten sich unter dem Absperrband hindurch. In der Luft lag noch der Geruch nach Asche. Die Semtex-typische Geruchsmelange – Honig, Essig, Wachs – hatte sich längst verflüchtigt. Während sie auf die Brandfläche zugingen, versuchte Louise, den Blick gesenkt zu halten. Sie wusste nicht, ob man den Flaunser von hier aus sah, und sie wollte es auch nicht wissen. »Riechst du das?«, fragte Günter.
»Was?«
»Es
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