Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bradbury, Ray - Halloween

Bradbury, Ray - Halloween

Titel: Bradbury, Ray - Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halloween
Vom Netzwerk:
Schrank geholt und
an den Ehrenplatz am Kopf der Tafel gesetzt wurde,
wo man ihr etwas zu essen anbot. Und die anderen
Familienmitglieder setzten sich ebenfalls und aßen
zu Abend und hoben die Gläser und tranken auf den
Toten, der dort saß, ganz Staub und trockene Stille

10

L
os, sucht mich, schnell!«
    Downgrounds lachende Stimme rief nach ihnen.
»Hier entlang! Nein, hier! Hier!«
Sie folgten dem schmalen Band aus Mumienstoff
    tief in die Erde hinein.
»Ja, hier bin ich!«
Sie bogen um eine Ecke und blieben stehen, denn
    das Leinenband wand sich über den Boden einer
Grabkammer und eine Wand hinauf und schlängelte
sich um die Füße einer uralten braunen Mumie, die
in einer kerzenbeleuchteten Nische schräg an die
Wand gelehnt war.
    »Ist das …« stammelte Ralph Bengstrum, der
selbst als Mumie verkleidet war, »… ist das eine echte Mumie?«
»Ja.« Staub rieselte unter der goldenen Maske der
    Mumie hervor. »Echt.«
»Mr. Downground! Sie!«
Die goldene Maske fiel mit einem glockenhellen
Klingen zu Boden.
    Wo eben noch die Maske gewesen war, war jetzt
das Gesicht einer Mumie, eine Pfütze aus braunem
Schlamm, in den die Sonne Risse gebrannt hatte. Ein
Auge war mit Spinnweben zugeklebt, das andere, in
dem hellblaues Glas blitzte, weinte Tränen aus Staub.
    »Ist einer unter euch, der als Mumie verkleidet
ist?« fragte die von den Stoff binden halb erstickte
Stimme.
    »Ja, Sir, ich!« quietschte Ralph und zeigte seine
Arme und Beine und seine Brust, die er den ganzen
Nachmittag lang mit Mullbinden umwickelt hatte,
bis er wie eine Mumie aussah.
    »Gut«, seufzte Downground. »Nimm den Stoffstreifen und zieh!«
Ralph bückte sich, packte die Leinenbinde und riß
daran.
Das Band wirbelte herum und herum und gab die
große, alte, schnabelartige Reptiliennase, das schartige Kinn und den trocken lächelnden, mit Staub überpuderten Mund von Downground frei. Seine gekreuzten Arme fielen herab.
»Danke, mein Junge! Macht keinen Spaß, eingewickelt zu sein wie eine Grabbeigabe für das Land
der Toten. Doch still! Schnell, Jungs, springt in die
Nischen und rührt euch nicht! Es kommt jemand. Tut
so, als wärt ihr Mumien, Jungs. Tut so, als wärt ihr tot.«
Die Jungen sprangen in die Nischen, kreuzten die
Arme, machten die Augen zu und hielten die Luft an.
Sie sahen aus wie ein Fries aus kleinen Mumien, der
aus dem Urgestein herausgehauen worden war.
»Keinen Mucks«, flüsterte Downground. »Da
kommt …«
Ein Beerdigungszug.
Eine Armee von Trauernden in Gold und feinen
Seidenstoffen, die Spielzeugsegelschiffchen und
kupferne, mit Speisen gefüllte Schüsseln in den Händen hielten.
In der Mitte des Zuges war der Mumiensarg, der,
leicht wie Sonnenschein, auf den Schultern von sechs
Männern ruhte. Und dahinter wurde eine erst kürzlich
eingewickelte Mumie getragen, auf deren Bandagen
mit frischer Farbe Bilder gemalt waren und deren Gesicht unter einer goldenen Maske verborgen war.
»Seht die Speisen und das Spielzeug«, flüsterte
Downground. »Sie stellen Spielzeug in die Grabkammern, damit die Götter kommen und spielen und
tollen und herumtoben und glücklich wie die Kinder
ins Land der Toten laufen. Seht die Schiffchen, die
Drachen, die Springseile, die Spielzeugmesser …«
»Aber seht doch mal, wie klein die Mumie ist«,
sagte Ralph in seinen warmen Leinenbinden. »Das
ist ein zwölfjähriger Junge! Wie ich! Und die goldene Maske auf seinem Gesicht – kommt euch die
nicht bekannt vor?«
»Pipkin!« riefen alle mit belegter Stimme.
»Pssst!« zischte Downground.
Der Beerdigungszug hatte angehalten. Im Flakkern
der Fackelschatten sahen sich die Hohepriester forschend um.
Die Jungen in ihren Nischen kniffen die Augen zu
und hielten den Atem an.
Downground war ein Moskito in Toms Ohr. »Kein
Flüstern«, sagte er, »keinen Laut.«
Die Harfenmusik setzte wieder ein.
Der Beerdigungszug setzte sich in Bewegung.
Und inmitten von all diesem Gold und Spielzeug,
den Drachen der Toten, lag die kleine, zwölfjährige,
frisch eingewickelte Mumie mit einer Goldmaske,
die genau aussah wie …
Pipkin.
Nein, nein, nein, nein! dachte Tom.
»Ja!« fiepte ein Mäusestimmchen. Es klang winzig, verloren, eingepackt, eingeschnürt, gefangen,
verzweifelt. »Ich bin’s! Ich bin hier, unter der Maske. Unter den Binden. Kann mich nicht bewegen!
Kann nicht schreien. Kann mich nicht befreien!«
Pipkin! dachte Tom. Warte!
»Ich kann nichts machen! Ich bin gefangen!« rief
die kleine, in

Weitere Kostenlose Bücher