Braeutigame
kümmerte sich nicht um die Jungen. Er drehte sich im Kreis, schnappte nach seinem Schwanz, bellte, jaulte, kratzte. Mit den Zähnen ging er wieder an seine Zehen und Krallen, als juckte es ihn dort.
„Was hat er denn?“, sagte Jakob zu sich selbst. Er stand auf und ging zu dem Hund. „Komm her, Otto. Komm zu mir. Es ist alles gut. Wir tun dir nichts.“
Arthur sah ihm nach und klaubte weiter Äste und Zweige zusammen.
Otto lief in den Wald und bellte.
„Komm doch her, du“, rief Jakob. „Was soll das Theater? Du musst mich schon an dich ran lassen, wenn wir Freunde werden wollen.“ Er ging ihm nach.
Jakob sah blaue Finger nägel , die aus dem Waldboden ragten, halb bedeckt mit Kiefernadeln, verfaulten Blättern und Erde. Es waren kleine Finger, an einer kleinen Hand, an einem kleinen Arm. Dahinter lag ein Haufen trockenen Gestrüpps, das Jakob bis an die Hüften reichte. Ott o sprang zwischen den Bäumen um her, unter denen er mehrere Löcher gegraben hatte.
Sie aßen erst spät am Abend in der Stube.
„Ein Gutes…“, sagte Daniel Freier in die Stille. Er hielt einen viel zu großen Holzkochlöffel in der Hand, mit dem er seine Graupensuppe aß.
Niemand reagierte. N ur Lobgott sah auf, blickte ihn erwartungsvoll an. Christian Prudöhl war noch immer fahl im Gesicht.
„Die Erde ist gut“, sagte Freier. Er rieb sich mit dem Handrücken die Augen. „Die Erde ist hier gut, glaube ich. Locker und f ruchtbar.“
Kapitel 13 : Wartheland
Freier hatte Recht. Der Boden war fett, und es regnete genug, selbst im Hochsommer. Doch bis zur ersten Ernte hatten sie fast ein halbes Jahr zu überbrücken, in dem sie irgendwie satt werden mussten.
Sie brachten die Saat aus, alles, was sie finden oder bei Nachbarn eintauschen konnten. Freier ließ sich den Kalender der Kartoffeln und Rüben erklären, die die Bauern in ih rer Gegend anbauten. M it Georg und Heinrich zimmerte er einen Pflug, dessen Schar sie mit rostigen Blechteilen verkleideten und abschliffen . In der ersten Woche schlachteten sie eines der Schweine, drei Wochen später das zweite. Im Stall hatten sie kurz nach ihrer Ankunft in einem Verschlag Säcke mit einem Aufdruck in einer Sprache gefunden, die Lobgott als „irgendetwas Baltisches “ deutete: fünf oder sechs Doppelzentner Hafer. Die Pferde ließ Freier dennoch auf der Wiese zwische n Haus und Wald weiden; man musst e haushalten, sagte er, der H afer wäre im Sommer zu schade; i m nächsten Jahr, so Gott wollte, hät ten sie mehr, für sich und auch für die Tiere. Lobgott stellte am Waldrand zwei Bienenstöcke auf. Die Apfel- und Pflaumenbäume waren gesund, Mitte April standen sie in Blüte und versprachen eine gute Ernte. Ihre ersten Eier aßen sie im Juni, nachdem das Geflügel gebrütet hatte und Dutzende Hühner-, Enten- und Gänseküken durch den Hof lief en. In den Wäldern der Umgebung jagte Georg mit der kurzen Schro tflinte, die sein Vater aus Bessarabien mitgebracht hatte, Kaninchen, Fasanen und Schnepfen . Einmal brachte er ein junges Wildschwein mit, eineinh alb Pud Fleisch .
Im Haus war nicht genug Platz für alle. Daniel Freier und seine Söhne schliefen in der schlechten Kammer, in der bei ihrer Ankunft die Hühner gescharrt hatten, in den ersten Wochen auf dem Boden, dann auf Matratzen, die sie sich aus Säcken und Stroh nähten. Minna und Lilli richteten sich im guten Zimmer gegenüber ein, in dem die beiden Betten standen. Alma und Heinrich bewohnten einen winzigen, dunklen Raum mit gemauerten, feuchten Wänden im Stall, der einmal eine Werkstatt gewesen war. Für Lobgott und Prudöhl bauten sie nebenan einen Holzverschlag mit zwei Pritschen, die übereinander an der Wand hingen. Selbst Ende Mai froren sie in der Nacht, im Haus wie im Stall, und w enn es länger regnete, sickerte Wasser durch da s faulende Dachstroh, tropfte auf den Boden , weichte ihn auf und machte ihn schlüpfrig . Alma brauchte einige Tage, bis sie sich an das Schlafen im Stall gewöhnt hatte. Marder und Ratten tippelten im Dunkeln durchs Gebälk und ließen Staub durc h die Deckenritzen auf ihr Kissen und ihre Augen rieseln. Wenn sie genau hinhörte, konnte sie die hungrige Rattenbrut fiepsen hören, irgendwo in einem verborgenen Winkel des Dachstuhls.
„Wir haben noch einiges zu tun, bevor d er Winter kommt“, sagte Freier. „W eiß Gott, wie viel Schnee sie im Norden haben, wenn e s schlimm kommt. Ihr braucht einen Ofen im Stall, Heinrich, den musst du irgendwo auftreiben . Oder
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