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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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schlug noch einmal zu, zielte auf Mu nd und Nase. Er riss dem schreien den Mann das Bajonett aus der Hand und stieß es ihm in die Brust, wo es auf eine Rippe stieß und abrutschte. Beim zweiten Mal sank die Klinge ein.
    Georg atmete schnell. Er hatte Angst. Er sah um sich, tastete hastig die Uniform des Russen ab, nahm seine Papiere. Pjotr Grigorijewitsch Kusnjetz , las er. Neunzehn Jahre.
    Für einen Moment zögerte er; er wusste nicht, was er tun sollte. Er durchsuchte den Wagen, in dem er einen schmutzigen Metallbecher, Rauchtee, eine russische Pistole und einen Schraubenschlüssel fand. Er überlegte, ob er dem Mann eine Kugel in den Kopf schießen sollte, entschied sich aber dagegen. Er wollte keinen Lärm machen und die A ufmerksamkeit anderer Rotarmisten , die in der Nähe sein konnten, auf sich lenken. Er sicherte die Pistole und steckt e sie in seine Manteltasche. Ein Dachbalken des Hauses brach hinter ihm ein und schickte tanzende Funken in den Nachth immel.
    Georg lief zu seinem Tornister, stopfte Becher, Tee und Schraubenschlüssel hinein und ging hinter den Bäumen in Deckung. Er sah auf seine Uhr und zwang sich, eine Viertelstunde lang regungslos auf den Knien abzuwarten.
    Als niemand kam , fühlte er sich sicherer. Sein Herz schlug langsamer, er atmete wieder normal. Er stand auf und entfernte sich langsam, ohne das brennende Haus aus den Augen zu lassen. Nach wenigen Schritten war er von völliger Dunkelhe it umgeben. Er war unerträglich müde.

 
     
    Liebfelde , Kr. Kosten, 19. Dezember 1944
     
    Geliebter Heinrich,
     
    die Feldpost  hat mir die letzten beiden Briefe zurückgeschickt. Zuerst war ich wie benommen – ich dachte, nun ist es so weit, nun schreiben sie mir… Ge fallen für Großdeutschland, steht auf den Briefen, die zurückkommen. Aber es stand nicht auf meinen Briefen, also wurde ich wieder ruhiger. Du lebst, glaube ich, hoffe ich. Ich meine es zu spüren.
    Du bist inzwischen sicher weit vom Dnjeper und vom Don entfernt? Wo Du bist – ich weiß es nicht, ich kann es doch nicht wissen. Nun hoffe ich, dass Du wenigstens im Zug fahren kannst, und nicht die weiten Wege zu Fuß machen musst. Auch das ist nicht sicher. Die Leute sagen, dass manche Züge in der Weite Russlands verlorengegangen sein sollen. Wie, bitte, geh t ein ganzer Zug verloren? Ich verstehe vieles nicht. Es wird so sein, wie sie sagen.
    Klein- Ilse gibt mir Halt. Wir haben in diesem Winter nicht viel hier, sie hatte immer wieder leichtes Fieber. Nun geht es besser. Dr. Prudöhl ist eine große Hilfe und Lilli und Minna auch. E s ist viel wärmer als vor einem Jahr , wir können dem Herrn danken. Wir haben gutes Holz, und im vergangenen Sommer haben wir das Haus und unseren Stall hinten so weit abgedichtet, dass der Wind nicht mehr durch jede Ritze zieh t.
    Ich bete für Dich, mein lieber Mann, wie an jedem Tag, seitdem ich Dich an jenem kalten Morgen zum Bahnhof begleitet habe. Jeden Nachmittag warte ich auf den Postboten. Er hat nur ein Bein, im ersten Krieg hat er das andere gelassen, mit Anfang zwanzig, aber er hat sich daran gewöhnt und geht wie ein Normaler , nicht wie ein Krüppel. Am Anfang, als er kam, war er noch fröhlich. Nun hat er so viele Schreiben von den offiziellen Stellen gebracht, dass er stumm wie ein Fisch geworden ist und nichts mehr sagt. Aber ich hoffe immer , dass er mir etwas von Dir bringt. Eine Feldpostkarte vielleicht – selbst wenn Du dort nur angekreuzt hast, dass Du am Leben bist und Dich gern an mich erinnerst. Jeden Tag hoffe ich. W enn er (Noack heißt er, der Brieftr äger) nichts hat für mich, stelle ich mir vor, wie Du zu mir zurückkehrst. Ich sehe Dich den Weg zum Haus hochkommen, in den grauen Wehrmachtsmantel gehüllt, den Du jetzt sicher trägst. Dann stelle ich mir Dein Gesicht vor. Dünner wirst Du sein. I ch stelle mir vor, wie Du lächelst, wenn Du kommst. Es macht mich froh, das zu denken.
    Ilse freut sich so sehr darauf, ihren Vater endlich zu sehen.
    Deine Dich liebende F rau Alma

 
     
    Der Morgen des 20. Januar 1945 war kalt und klar; es würde ein schöner Tag werden, sobald die Sonne sich gegen acht Uhr über den Horizont schob. Ilse weinte beim Frühstück. Sie wollte den mit Wasser gekochten Hafer- und Leinsamenschleim nicht schlucken und spuckte ihn aus. Ihre Stirn fühlte sich heiß an, dachte Alma, sie hatte noch immer erhöhte Temperatur und schwitzte . Am Vorabend hatte sie ihr eine halbe Aspirin-Tablette aus Prudöhls Tasche zerrieben un d ihr mit

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