Braeutigame
Fotograf da. Heute ist es sch on in der Tageszeitung hier . „Renowned singer rediscovers childhood friend“, schreiben sie, und es gibt ein Foto von mir (singend), ein zweites von Lea und ihrem Mann. Er heißt Moische Avram (A.) Druckman und ist auch jüdisch. Ich weiß inzwischen, dass er von den Deutschen nichts wissen will. Lea hat uns natürlich einander vorgestellt, im Salon der Stevens noch, aber auch dort war er reserviert und sagte kaum ein Wort. Er spricht und versteht aber deutsch, hat Lea mir gesagt. Er stammt aus Rheinhessen. K ennengelernt hat Lea ihn in Israel.
Aber langsam: Wir – Lea und ich – saßen lange zusammen, noch als der Abend bei den Stevens beendet war und die letzten Gäste gingen. Ich schickte Kali in einem Taxi ins Hotel ( Minna und Rosina waren schon dort) & setzte mich mit Lea – ohne ihren Mann, es schien ihr besser – in ein Restaurant, das die ganze Nacht hindurch geöffnet hatte. Einen „Diner“ nennt man es in Amerika, sie servieren dort Würste und Hackfleisch-Brötchen und Getränke. Lea hat graue Haare bekommen & immer noch die Locken , die sie schon als Mädchen hatte . Sie ist so alt wie Minna, sechsundvierzig oder siebenundvierzig.
Wir saßen wohl bis drei oder halb vi er am Morgen mit unseren T assen auf der Bank und erzählten uns alles, was geschehen ist seit damals, als sie fortging mit ih ren Eltern. F ast dreißig Jahre un d der Krieg. Die Dressners – Bo i a s, Elwira, Lea – ritten mit ihren besten Tieren nach Galatz an der Donau, wo sie mit Sack und Pack ein Frachtschiff bestiegen, dass den Fluss abwärts nach Sulina fuhr, wo die Donau ins Schwarze Meer mündet. Dort verkauften sie ihre Pferde – für viel Geld, erzählte sie, es waren natürlich feine Araber, Boias Dressner hatte nie etwas Schlechtes im Stall stehen, und in diesem Sulina leben viele reiche Menschen aus allen Ländern, es gibt einen großen Hafen. So hatten sie Geld und nahmen ein Passagierschiff nach Odessa. Eigentlich wollten sie dort nach kurzer Zeit weiter, e rst nach Konstantinopel und von dort nach Haifa in Israel. Aber Elwira hatte Schwester und Schwager in der Stadt (auch Juden natürlich, auch der Schwager), und es kam ihnen sicher vor. So viele Juden lebten in Odessa, was sollte ihnen passieren, dachten sie? Es scheint immer einen Schutz in der Menge zu geben, denken wir nicht alle so? Wie auch immer: Elwira wollte gleich weiter in die Türkei und in die Levante, aber Boias stellte sich quer. Sie stritten, sagte Lea, aber sie entschieden, dass sie den einen Winter über in Odessa bleiben würden. Im Oktober 41 kamen dann die Rumänen und die Nazis und besetzten alles: das ganz e Land jenseits des Nisters und Odessa und wüteten wie die Teufel. Leas Vater – den lieben Boias – schleppten sie am 23 ., als die Sonne gerade aufging, auf die Straße und hingen ihn an der Laterne vor dem Haus auf. Elwira schnitten sie einen Finger ab, als sie ihren Mann schütz en woll te, und sie sch lugen sie & die anderen auch. All e verbrannten in dem H aus, Elwira, ihre Schwester, der Schwager, dessen Eltern und die ganzen Kinder, die bei ihnen waren, eigene und mehrere von den Nachbarn. Sie standen mit Gewehren vor den Türen und ließen sie nicht hinaus auf die Straße. Nur Lea und ein Nachbarskind überlebten, drei Jahre alt. Sie nahm sich, als sie den Vater hängen sah, das Kind (ein Mädchen), band es auf den Bauch und hängte sich an einem Seil in die Sickergrube hinten. Sie hing dort lange – Stunden –, aber sie weiß selbst nicht, wie lange es genau war. Ihre Arme und Beine waren am Ende völlig taub, dass sie dachte, sie würde nie mehr gehen können. Sie hörte das Brennen und das Schreien der Nachbarn und Schüsse, und es stank wie die Pest, aber sie gewöhnte sich daran und merkte es irgendwann nicht mehr. Ihr halbes Viertel gab es nicht mehr, als sie rausgeklettert kam (das Kind hatte schrecklichen Durst gehabt). Sie sagten, sie hätten die , die sie finden konnten, über den Fluss gebracht, nach Transnistrien, in Lager. Sie sollen alle in die KZs gek ommen sein, nach Auschwitz, Majdanek und Treblinka und in die Lager in der Ukraine .
Lea versteckte sich zweieinhalb Jahre. Ihr half eine armenische Familie, Christen, sie schlief gekrümmt, halb im Sitzen in einer winzigen Dachkammer, und konnte nur machen, wenn ganz sicher niemand im Haus war und es riechen konnte. Sie spielte Schach und las alle Bücher, die sie finden konnte, sagt sie , in allen Sprachen . Es ist ganz
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