Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel
habe. Ich überquerte die Straße und sprang auf den Gehweg, als ich das Auto auf mich zu rasen hörte. Dabei fiel ich auf den Boden und schürfte mir die Hand leicht auf. Aber wie gesagt, nicht der Rede wert.« Er hielt seine Rechte hoch, musterte sie. »Bis ich mich erhoben hatte, waren schon ihre Kollegen da. Mehr ist mir nicht bekannt. Ich habe von dem Auto nichts gesehen. Es war Zufall, glauben Sie mir, purer Zufall.«
»Sie haben wirklich keine Angst um Ihre Sicherheit?«
Dr. Riederich lachte laut auf. »Um meine Sicherheit?« Er beugte sich weit vor, starrte sie mit großen Augen an. »Nein, wirklich. Vergessen Sie es. Um meine Sicherheit habe ich keine Angst.«
7. Kapitel
Mitten in der Nacht hatte es angefangen zu regnen. Braig hatte sich im Bett hin- und hergewälzt, stets darum bemüht, seine mit gleichmäßigen Atemzügen neben ihm ruhende Partnerin nicht zu wecken, hatte Stunde um Stunde vergeblich versucht, das anscheinend unwiderruflich in sein Gedächtnis eingebrannte Bild des neben den Stamm der Linde hingestreckten Mädchens wenigstens für den Verlauf der Nacht auszulöschen und in den Schlaf abzutauchen. So müde, erschöpft und ausgebrannt er sich fühlte, es wollte ihm nicht gelingen. Jedes einzelne Auto auf der nahen Rotebühlstraße, jeder aufheulende Motor, jedes abrupte Bremsen wurde von ihm registriert, ob er sich dagegen wehrte oder nicht. Lag es allein am Schicksal des Mädchens oder trug das Wetter, dessen drastische Änderung sich draußen von Stunde zu Stunde mit immer heftigerem Prasseln und zunehmend aggressiveren Windböen bemerkbar machte, zu seiner inneren Unruhe bei? Er wusste es nicht, hatte keinen Erfolg, sich ein anderes Bild als das, mit dem er vor wenigen Stunden unterhalb der Comburg konfrontiert worden war, vor Augen zu holen.
Nicht lange vor Mitternacht, mit dem letzten Zug, war er nach Hause gekommen, nachdem er mit einer Handvoll Kollegen des Schwäbisch Haller Reviers alle in der Umgebung der Lindenallee gelegenen Häuser aufgesucht hatte, um deren Bewohner nach Beobachtungen zu fragen, die in irgendeiner Weise mit dem Tod des Mädchens zu tun haben konnten. Wie in unzähligen seiner Ermittlungen hatte es lange danach ausgesehen, dass sich trotz aller Bemühungen nicht ein einziger sinnvoller Hinweis auf die Umstände des Verbrechens würde feststellen lassen, dann jedoch, kurz nach 21 Uhr waren sie auf einen vor seinem Elternhaus vom Fahrrad steigenden jungen Mann gestoßen, der sich daran erinnerte, am frühen Abend nicht lange nach Einbruch der Dämmerung einen »dicken BMW« mit irrsinniger Geschwindigkeit vom Parkplatz am unteren Ende der Lindenallee wegrasen gesehen zu haben. Woher das Auto gekommen und wer es gefahren hatte, konnte Sven Kleiber, so der Name des 17-Jährigen, nicht sagen, des Fabrikats und der Farbe des Wagens aber war er sich absolut sicher. Ein dicker BMW, wahrscheinlich ein Fahrzeug der Fünfer-Reihe – wenigstens diesen Hinweis hatte Braig am Abend noch in den Fahndungscomputer eingeben können. Der Fahrer war wie ein Verrückter vom kleinen Parkplatz auf die Straße geprescht und Richtung Hessental verschwunden – mehr hatten alle Befragungen nicht ergeben.
Vergeblich geblieben waren dagegen die Versuche Braigs, Vanessa Kösel, die Mitbewohnerin Lisa Haags in Tübingen telefonisch zu erreichen – kein großes Wunder an einem Freitagabend, den wohl nur wenige junge Leute zu Hause verbrachten. Die Identität des Mannes zu ermitteln, mit dem Lisa Haag sich wenige Stunden vor ihrem gewaltsamen Tod hatte treffen wollen, war deshalb unmöglich geblieben; den Namen Meisner, falls der Gesuchte überhaupt so hieß und sich auch genau so schrieb, gab es laut Auskunft zu oft, als dass man alle Personen an diesem Abend noch hätte überprüfen können. Braigs große Hoffnung hatte sich deshalb auf die Auflistung sämtlicher Telefonate und SMS-Verbindungen gerichtet, die Lisa Haag in den letzten Tagen mit ihrem Handy geführt hatte. Alle Versuche, eine Übersicht darüber zu erlangen, waren jedoch schlicht und einfach daran gescheitert, dass es Dolde, der sich fast zwei Stunden darum bemüht hatte, nicht gelungen war, bei der zuständigen Telefongesellschaft einen kompetenten Gesprächspartner zu erreichen.
»Freitagabend«, hatte der Techniker schließlich resigniert, »da arbeitet niemand mehr.«
Mit dem Gedanken, sich am Samstag sofort darum zu bemühen, hatten sie sich voneinander verabschiedet.
Braig war erst am frühen Morgen in einen
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