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Braig & Neundorf 12: Schwabenehre

Braig & Neundorf 12: Schwabenehre

Titel: Braig & Neundorf 12: Schwabenehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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unnachahmlich in die natürliche Umgebung eingebetteten architektonischen Wunderwerks hatte Annika Jung so in ihren Bann gezogen, dass sie die aus dem Tal immer lauter anschwellenden Geräusche mit irrsinnigem Tempo die Straße entlangrasender Fahrzeuge wie das unmittelbar darauf einsetzende Heulen mehrerer Polizeisirenen erst bemerkte, als die wenigen Besucher des Schlosshofes längst voller Neugier auf den kleinen, exponiert über dem Steilabfall gelegenen Aussichtskanzeln Stellung bezogen hatten, um das Geschehen mit eigenen Augen zu verfolgen. Sie schaute sich um, suchte das hügelige Gelände mit ihren Augen ab, konnte ihren Freund nirgends entdecken. Der steht längst irgendwo am Geländer, überlegte sie, und starrt in die Tiefe, um zu erkunden, woher der Lärm kommt. Sie hörte das schrille Kreischen von Bremsen, dann einen irrsinnig lauten Knall, als sei ein Gastank explodiert, erneutes Quietschen, und noch einen heftigen dumpfen Schlag.
    »Die sind aus der Kurve geflogen«, rief ein Mann, unverhohlene Begeisterung in der Stimme, »und dann voll gegen einen Baum. Wahnsinn!«
    Sie eilte zum nächst gelegenen Aussichtspunkt, sah das wilde Gestikulieren eines dicken, mit einer Kamera bewaffneten Touristen, hörte sein aufgeregtes: »Die sind garantiert hinüber. Bei dem Affentempo haben die keine Chance.« Er griff nach seiner Kamera, richtete sie in die Tiefe, schwenkte sie hin und her, fotografierte ein Bild nach dem anderen. »Warum habe ich das nicht von Anfang an verfolgt«, keuchte er, von Jagdfieber ergriffen, »mein Gott, warum habe ich das versiebt? Das hätte Millionen bringen können.«
    Besonders viel war nicht zu erkennen, dachte sie, insgeheim etwas enttäuscht, mehrere quer über die Fahrbahn gestellte Polizeifahrzeuge mit blinkenden Sirenen, ein am Abhang unterhalb einer engen Serpentine zwischen zwei Bäume katapultiertes, auf dem Dach liegendes Auto, mehrere auf und neben der Fahrbahn hin- und herwuselnde Personen, einige davon deutlich sichtbar in Uniform. Sie sah die Umrisse eines menschlichen Körpers unweit des verunglückten Autos, beobachtete, wie sich zwei Polizeibeamte daran zu schaffen machten. Im selben Moment hörte sie den markerschütternden Schrei wenige Meter von sich entfernt. Sie fühlte sich wie aus heiterem Himmel von einem Blitz getroffen, wandte sich um, starrte in die Richtung, aus der er kam. Die kleine Aussichtskanzel, etwas erhöht, zwölf, fünfzehn Meter von ihr entfernt. Michael Napf mit seinem langen blonden Pferdeschwanz, kopfüber vor der Brüstung hängend, von einer in eine Winterjacke samt Kapuze gehüllten Gestalt an den Beinen gepackt und über das eiserne Geländer …
    Annika Jung versuchte zu schreien, ihrem fassungslosen, vor Schreck erstarrten Körper einen schrillen Hilferuf zu entlocken, brachte nur ein seltsam-heiseres Krächzen zustande. Ohnmächtig verfolgte sie, wie die kräftige Gestalt den jungen, verzweifelt schreienden und mit seinen Armen durch die Luft rudernden Mann vollends über das Geländer drückte, dann, bei schon fast vollständig verrichteter Tat vom Schuh des bereits abhebenden Opfers getroffen und für den Augenblick weniger Sekunden seiner Kapuze beraubt wurde. Die unbekannte Bestie warf ihren Kopf im Reflex zur Seite, blickte kurz in ihre Richtung, warf dann die Arme hoch und hüllte ihr Gesicht wieder in die Kapuze. Für den Bruchteil eines Moments hatte sie das Gesicht des Mannes erblickt, die Erregung, den Hass wahrgenommen, der sich seiner bemächtigt hatte. Dann, ungläubig in die Tiefe starrend, wo ein verzweifelt mit Armen und Beinen durch die Luft rudernder Mensch seinem abrupt bevorstehenden Ende entgegenstürzte, brach Annika Jung am Rand der kleinen Aussichtsplattform zusammen und sackte dem unablässig auf seinen Auslöser drückenden Fotografen in die Arme.

27. Kapitel
    Als Neundorf und Ohmstedt endlich an Ort und Stelle angelangt waren, war längst alles vorbei.
    »Wir haben sie, beide«, hatten sie unterwegs telefonisch bereits von den Kollegen der Schutzpolizei erfahren, »der eine ist tot, der andere bewusstlos. Wenn ich den Notarzt richtig verstanden habe, hat auch der Zweite keine großen Chancen. Sie haben uns wohl im Rückspiegel wahrgenommen, sind wie die Wahnsinnigen von Traifelberg in die Serpentinen. Kurz vor Hönau hat es sie dann erwischt. Raus aus der Kurve, voll an einen Baum. Den einen schleuderte es auf den Abhang, für den anderen war die Windschutzscheibe Endstation. Beide waren nicht

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