Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
nein, wie soll das jetzt weitergehen?«
Er lief auf das Tor einer am Rand des steil ansteigenden Hügels gelegenen Villa zu, die auf allen Seiten von einer breiten Rasenfläche umgeben wurde. Das zwei Stockwerke umfassende, in hellem Gelb gehaltene Gebäude schien erst vor wenigen Jahren gebaut, alles an ihm wirkte noch relativ neu: die Fassade mitsamt den weitläufigen Fensterflächen, das sanft ansteigende, von mehreren Solarzellen-Paneelen bestückte Dach wie die schmalen Ziergartenstreifen, die das Gebäude vom Rasen abgrenzten.
»So, wir sind da«, erklärte Stollner. »Ich melde uns an, wenn Sie gestatten.« Er drückte auf die Klingel an der niedrigen Steinmauer, winkte der Frau, die kurz darauf aus der Haustür trat. »Eva, hier, ich bin es, Klemens.«
Braig sah, dass die Frau reglos vor dem Haus stehen blieb, folgte dem Mann durch den Garten. »Sie sind per Du?«, fragte er.
»Geigelfingen ist klein«, antwortete Stollner, »wir kennen uns.«
Der Zustand, in dem Eva Seibold sich befand, war ihr schon aus mehreren Metern Entfernung anzusehen. Mit eingezogenen Schultern wartete sie auf ihre Besucher, das Gesicht von Tränen verschleiert, ein Papiertaschentuch in der Linken. Braig schätzte sie auf Mitte dreißig, eine große, schlanke Frau mit kurzen, blonden Wuschelhaaren und einem schmalen, hübschen Gesicht. Sie schien ungeschminkt, trotz der Tränenflut jedenfalls ohne jedes Anzeichen unerwünschter Farbschlieren unter den Augen oder auf den Wangen.
Stollner lief ohne jedes weitere Wort auf sie zu, warf beide Arme um sie, drückte sie fest an sich. Sie ließ ein lautes Schluchzen hören, verharrte mehrere Minuten an der Brust des Mannes, löste sich erst wieder von ihm, als er sie zögernd freigab und ihre rechte Hand in seiner barg.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, erklärte er langsam, in getragenen Worten und mit ruhiger, sonorer Stimme, »das kann niemand verstehen.« Er drückte ihr sacht die Hand, trat dann einen Schritt zurück, gab ihr Gelegenheit, sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. »Mein Beileid, Eva, mein aufrichtiges Beileid.«
Sie wandte sich ab, fuhr sich über die Stirn, die Wangen und das Kinn, ließ ein kaum vernehmbares »Danke« hören.
Stollner wartete, bis sie das Tuch aus dem Gesicht genommen und einen kurzen Blick auf seinen Begleiter geworfen hatte, stellte den Kommissar vor. »Herr Braig von der Polizei. Wenn du es dir zutraust, kurz mit ihm zu sprechen?« Er sah ihre abweisende Miene, die Träne, die sich erneut aus ihrem Auge löste. »Ich bleibe dabei, wenn es dir recht ist.«
Eva Seibold nickte mit dem Kopf, klammerte sich am Arm des Mannes fest.
Da war nicht viel an Informationen zu holen, war Braig sich bewusst, nicht in dem Zustand, in dem die junge Frau sich im Moment befand. Was sie in den letzten Stunden hatte hinnehmen müssen, überforderte die Kraft jedes noch so gesunden Menschen. Ihr Partner, mit dem sie sich eingerichtet hatte, gemeinsam die Höhen und Tiefen der kommenden Jahre zu meistern, war aus ihrem Leben gerissen worden wie eine Pflanze aus der fruchtbaren Erde. Niemand war dazu imstande, diese Entwurzelung ohne grundlegende Erschütterung der eigenen Existenz zu überstehen. Einen Menschen in dieser ohnehin kaum erträglichen Situation mit Fragen nach den letzten Momenten des Zusammenseins mit der so jäh aus dem Leben gerissenen Person zu traktieren, schien taktlos, zudem auch nur selten von Erfolg gekrönt, war er logischem Denken jetzt doch nur bedingt zugänglich. Es verlangte auf jeden Fall ein großes Ausmaß an Rücksicht und Fingerspitzengefühl des jeweiligen Ermittlers. Ohne den Beistand des Bürgermeisters hätte Braig einen solch frühen Versuch, Eva Seibold auf den vergangenen Abend anzusprechen, deshalb niemals gewagt.
Er sah, dass Stollner ins Innere des Hauses deutete, trat zur Seite, um seinem Begleiter Platz zu machen. Der Mann lief, die Frau in seinem Arm, langsam zur Haustür, betrat dann die Diele, gab Braig mit einer Kopfbewegung Bescheid, ihm zu folgen. Der Kommissar schloss die Tür, querte mit kleinen Schritten den hellen, mit weißen Fliesen ausgelegten Vorraum. Das Haus roch nach frischen, belebenden Extrakten von Kräutern und Blüten, war angenehm kühl. Irgendwo in einem der Zimmer dudelte ein Radio oder Fernsehgerät.
Braig betrat den großen, mit einem Ensemble weißer Zwei- und Dreisitzer ausgestatteten Wohnraum, entdeckte die Ursache des Geräuschpegels: Ein überdimensional großer, in der
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