Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
Erwartungen durchaus gerecht geworden war.
Von dem Gerücht nach Stuttgart gelockt, in und um die schwäbische Metropole stehe ein großer Teil der reichlich vorhandenen Weiblichkeit unverbindlichen, aber nichtsdestotrotz physisch äußerst intensiven Begegnungen mit naschsüchtigen, männlichen Existenzen noch weit aufgeschlossener gegenüber als in der Provinz, hatte er in den vergangenen Monaten viel Energie darauf verwandt, diese Behauptung bis ins Detail zu überprüfen. Wann immer es die Zeit erlaubte, war er bestrebt gewesen, sich einer der in der Umgebung herumschwirrenden, wohlduftenden Blüten zu widmen – mit vollem Engagement und aller Kraft, die ihm zur Verfügung stand. Eine länger anhaltende Liaison hatte sich bis jetzt noch nicht ergeben, waren doch nicht nur er, sondern auch etliche seiner kurzzeitigen Eroberungen nicht bereit gewesen, die Jagdsaison mit der gerade erlegten Beute zu beenden. Vom Ausmaß seiner beruflichen Beanspruchung hing es ab, wie weit er sich dieser Leidenschaft hingeben konnte.
Selten nur, allzu selten hatten sich in den letzten Monaten Synergieeffekte zwischen der täglichen Arbeit und den privaten Interessen erzielen lassen. Aupperle dachte mit zwiespältigen Gefühlen an den März des vergangenen Jahres zurück, als ihn Stefanie Riedinger, die bildhübsche, junge Kommissarin der Abteilung Gewaltkriminalität beauftragt hatte, die verflossenen Gespielinnen eines ermordeten Managers aufzusuchen, um sie auf eine eventuelle Tatbeteiligung hin zu überprüfen. Begeistert hatte er die jungen Frauen der Reihe nach aufgesucht, vergeblich darum bemüht, private Kontakte herzustellen. Nicht eine einzige Beziehung war diesen Begegnungen entsprungen, kein One-Night-Stand, nicht einmal ein kurzes Rendezvous. Er durfte nicht daran denken, dass er auch noch Anstalten gemacht hatte, sich einer Frau zu nähern, die sich dann als Lesbe entpuppt hatte …
Vielleicht tat er wirklich besser daran, sein privates Leben von seinen beruflichen Aufgaben zu trennen, hatte er in einer stillen Stunde überlegt, schon um der Gefahr zu entgehen, seine kriminalistische Urteilskraft von subjektiven Faktoren beeinflussen zu lassen.
Der dienstliche Auftrag, sich an diesem Donnerstagvormittag um ein persönliches Gespräch mit Vanessa Reuter in Ludwigsburg zu bemühen, um deren von Augen- und Ohrenzeugen bestätigte Morddrohungen gegen Christian Fitterling zu überprüfen, vermochte daher bei Weitem nicht mehr die Begeisterung in ihm zu entfachen, wie das im Vorjahr bei ähnlichen Ermittlungstätigkeiten noch der Fall gewesen war. Ruhig, sachlich, gelassen hatte er die Frau kurz nach neun Uhr am Morgen telefonisch um einen Termin gebeten, sie dann zehn Minuten vor zwölf, zu Beginn ihrer Mittagspause auf dem Marktplatz mitten in der Barockstadt getroffen.
»Sie sind Erzieherin?«, hatte er sich vergewissert.
»Das geht Sie überhaupt nichts an!« Ihre Antwort war deutlich ausgefallen. »Unterstehen Sie sich, mich im Hort aufzusuchen. Dann hören Sie von mir kein Wort. Entweder wir treffen uns auf dem Marktplatz oder Sie sparen sich den Weg!«
Er hatte befürchtet, dass es kein Zuckerschlecken würde, war von der Begegnung mit ihr dann gewaltig überrascht worden. Die brennende Zigarette in der Hand, wie sie es als Erkennungsmerkmal vereinbart hatten, saß sie bereits an einem Tisch in der äußersten Reihe des Cafés auf dem Marktplatz, der Bedienung gerade ihre Bestellung mitteilend, als er hinzukam. Das türkisfarbene T-Shirt, die schwarze Hose, dazu türkisfarbene Slipper, er erkannte sie auf den ersten Blick. Die Frau schien knapp über dreißig, hatte lange, hellblonde Haare, unübersehbar prächtige Kurven – sie kam ganz nach seinem persönlichen Geschmack. Was ihn störte, war nur die große Wunde auf ihrer rechten Wange.
»Frau Reuter?« Aupperle sah ihr zustimmendes Nicken, stellte sich vor. Er reichte ihr die Hand, setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.
»Ah, Sie sind nicht in Uniform. Das ist schon mal ein Vorteil.«
»In Uniform?« Er schüttelte den Kopf. »Ich bin Kommissar. Uniform trage ich nur zu besonderen Anlässen.«
»Na, das ist schon mal gut. Ich dachte, das Theater geht wieder los. Was hat mein Alter dieses Mal angestellt?«, fragte die Frau.
»Ihr Alter? Verzeihung, es geht um Herrn Fitterling. Christian Fitterling. Sprechen wir über dieselbe Person?«
»Christian Fitter …?« Sie hielt mitten im Wort inne, den Schrecken unübersehbar ins Gesicht gemeißelt. »Hat,
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