Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie
eins.«
Wenig später betrachtete ich sie zufrieden, ohne in ihre
Funken sprühenden Augen zu sehen.
Mir war jetzt nicht nach kaltem Hass über gefrorenem Kajal;
ich konzentrierte mich ganz darauf, ob ich meinen Job gut gemacht hatte.
»Sehr schön«, sagte ich.
Ich hatte Tina Plastiktüten über die Füße gezogen, um einen
Windschutz zu erzielen.
Sie trug als Weste einen aufgeschnittenen Müllbeutel mit dem
Aufdruck »for a cleaner Manhattan« und auf ihrem Kopf war ein transparenter
Brotbeutel drapiert, der ihr etwas Dalieskes gab, wie ich fand. Der Wind kühlte
sie aus – und ich hatte eine Lösung gefunden, ohne dass wir bei Brooks Brothers
shoppen mussten. Ich war ziemlich stolz auf mich, auch wenn ich zugeben muss,
dass Tina vage an ein geschmolzenes Playmobil-Männchen erinnerte.
»Ich hasse dich«, sagte sie.
»Es ist nur zu deinem Besten«, erwiderte ich, darauf
bedacht, keine Emotionen in meine Stimme zu legen.
Um sechs war es dann soweit: Ich benötigte Ruhe.
Wir waren sechs Kilometer zurück zur Grand Central Station
marschiert; und Tina litt unter dem Gelächter der Passanten weniger als unter
dem schneidenden Wind. Theaterleute.
»Ich hol mir den Stern oder so was und trink noch ein Bier.
Geh doch schon mal rauf und mach’s dir gemütlich, hm?«
»Mach aber nicht so lange«, erwiderte sie und verschwand
knisternd.
Der Stern kostete im Tabakladen so viel wie ein
durchschnittliches deutsches Studium, aber das war es mir wert.
Neben dem YMCA gab es eine Filiale der Pintenkette
»Hoolihan’s«. Striktes Rauchverbot, aber billiges Bier und Erdnüsse bis der Tod
eintrat.
Der Laden war ein Klischee: Ein langer Tresen, eine Menge
Blechschilder, zwei Fernseher, die verschiedene Baseballspiele übertrugen, ein
wenig Neon hier, ein wenig Chrom dort.
»Tach. Ein Bier, bitte.«
»Heineken, Miller, Bud, Corona, Lager …?« Der klobige, aber
herzliche Wirt zählte mindestens zwanzig Biersorten auf, was mir ein déjà vu
bezüglich eines Sandwichkaufes verschaffte, den ich gestern erfolgreich
getätigt hatte.
Ich hatte ein »Deli« betreten, um ein stinknormales Sandwich
zu erstehen. Nichts Dolles: Brot, Mayo, Schinken, schönen Tag noch.
»Ein Sandwich mit Schinken und Mayo bitte.«
Der Typ hinterm Tresen schob seine Papiermütze zurecht.
»Welches Brot? Pita, Weißbrot, Schwarzbrot, Graubrot?«
Um es abzukürzen:
Es gab Mayonnaise in allen Schattierungen und
Geschmacksrichtungen inklusive Hühnersuppenaroma und Teakholz, Kochschinken in
sämtlichen Farben des Regenbogens, Salat von regenwaldartiger Vielfalt und
absurd viele Sorten Brot, von denen eine sogar nach Brot schmecken sollte, wie
Mr. Deli beteuerte. Ich nahm immer sein erstes Angebot, weil ich befürchtete,
dass ansonsten mein Bausparvertrag zur Auszahlung käme, während ich noch in den
USA meine Mahlzeit entgegennahm.
Ich trank ein Bud, und wie sich herausstellte, machte es
mich nicht weiser.
Eine alberne Verkettung von Abläufen kam in Gang. Ich trank
ein Bier, zahlte, ging raus, rauchte, kam rein, bestellte ein Bier, zahlte,
ging wieder raus und rauchte mir erneut eine.
Nach etwa sechs Bier trat ein Mann neben mich.
»Guten Abend«, sagte er.
Ich nickte zurück, und das schien ihm zu reichen; er hielt
mir seine Hand hin, und als ich sie ergriff molk er sie mit herzlichem
Gesichtsausdruck.
Der Mann trug einen abgewetzten Wollmantel sowie einen
Pullover, der sich in Auflösung befand und die Farbe alter Weintrauben hatte;
seine Fingernägel sahen aus, als hätte er sich den Weg zu Hoolihan parallel zum
Holland-Tunnel durchs Erdreich gegraben.
In seiner anderen Hand trug er eine große, braune
Papiertüte.
»Ich bin Francis, the singing philosopher .«
»Torsten. Jäger der verbilligten Spielkarten.«
Er nickte abgeklärt.
»Leckeres Bier, was?«, fragte er lauernd.
»Jawoll«, antwortete ich, während ich erkannte, welch tiefer
Sinn in seiner Anfrage verborgen war.»Willste eins? Ich lad dich ein.«
Francis, der singende Philosoph, hatte kurz nach dem ersten
Bier begonnen, seine Tüte zu entleeren.
Hunderte von Vierfarbkugelschreibern kamen zum Vorschein:
Diese nostalgischen, irgendwie eckigen Blechschreiber, die winzige Schieber
haben, um die rote, blaue, grüne und schwarze Mine zu repetieren.
»Was kosten die?«, fragte ich, bereits etwas bleiern von
sechs Gläsern kalten Budweisers.
»Einer fünfzig Cent.«
»Und fünf?«
»Ein Dollar achtzig«, lächelte er.
»Und fünfundzwanzig?«
»Vier
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