Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie
für das in
aller Welt beliebte YMCA, Central Park West; Toiletten auf dem Gang, gebohnerte
Böden und Betten mit Rollen, die bei kleinster nächtlicher Bewegung durch die
gute Stube glitten, als wäre man am Set von »Poltergeist«.
»Sehr schön«, sagte Tina, als sie das Zimmer sah, meinte
aber wohl: Nur wenn ich im Koma liege.
»Hier ist Rauchverbot«, meldete sie mit milder Gehässigkeit.
»Ich weiß«, erwiderte ich. »Deswegen hock ich mich immer
raus.«
Draußen vor den typischen Schiebefenstern gab es einen
Gitterrost, der dazu gedacht war, Flüchtenden eine Ausgangsbasis zum Erklimmen
der Feuerleiter zu bieten, aber gern von Taubengeschwadern als Klo und von mir
als Rauchsalon benutzt wurde.
Tina öffnete ihr Überseegepäck, was mich zu der Vermutung
veranlasste, das Berliner Staatsballett würde uns nachreisen, und sie hätte
schon mal deren Plünnen mitgeschleppt.
Eine Auflistung ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
Unterwäsche verschiedenster Farb- und Schnittvariationen,
etwa zwanzig cremefarbene Ensembles luftiger Hemdchen und ein Pfund
Monatsbinden oder Slipeinlagen (Gott kennt den Unterschied), falls sie in den
drei Tagen unseres Aufenthalts eine Original-Alien-Facehugger-Sturzgeburt haben
sollte.
(Ich hatte drei Unterhosen dabei. Ich traue meinem Darm, er
traut mir.)
Sechs Pullover in verschiedensten Graden der Bestickung,
Beflockung und Beschriftung; von laszivem Schwarz bis John-Waters-Pink war
alles dabei.
Mehrere Jeans – hüfthoch, bauchhoch, bleached, Dark Denim,
dreiviertel lang, mit Strassschweinchen drauf, mit Strassschmetterlingen drauf
– und eine völlig normale 501, für die ihr »Arsch zu fett sei«, die sie aber
aus Sicherheitsgründen trotzdem mitführte.
Wir waren in der Lage, eine Westernshow aufzuführen.
(Ich trug nur eine blaue Jeans. Nix im Koffer. Keine Pointe,
bedaure.)
Allerdings hatte sie – und das war es, was unsere Beziehung
ins Wanken brachte – nur eine Jacke.
Zwar ein abgefüttertes Monstrum mit Pelzimitat an allen
Ecken und Enden, das sie von hinten aussehen ließ wie den berühmten Bär im
blauen Haus , aber eben sonst nix.
Da war ich schlauer; ich hatte meinen potthässlichen, aber
molligwarmen Ledermantel angezogen, unter welchem, wenn’s nötig war, noch ein
Tiefseeanzug samt Sauerstoffversorgung Platz gefunden hätte.
»Gehen wir raus?«
Ich bejahte, wies aber darauf hin, dass ich noch plante, im
Angesicht mehrerer Quadratmeter gefrorener Taubenscheiße eine Gitanes
wegzuqualmen.
Broadway, irgendwann mittags. Zu- oder abzüglich einer
unbestimmten Summe an Stunden, die wir durch eine neue Zeitzone gewonnen,
teilweise aber durch Rauchen und Fußnägellackieren wieder verpulvert hatten.
»Ich will auf’s Empire State Building!« sagte Tina.
»Du möchtest eine Blasenentzündung für neun Dollar?«
»Ich will die Sehenswürdigkeiten besuchen, verdammt!«
»Du bist mittendrin«, erwiderte ich, »und oben siehst du bei
dem Dunst nicht das Geringste. Glaub mir.«
Es war schweinekalt, die Dämmerung brach an und ich hatte
noch immer keinen Drugstore oder Spielwarenladen gefunden, in dem sie
Spielkarten verkauften.
Mein Vorhaben, sofort bei erster Gelegenheit das Zeug zu
kaufen, um planungstechnisch freie Bahn zu haben, geriet massiv ins Wanken.
Außerdem begann Tinas Stimme bei jeder noch so beiläufigen Bemerkung einen
provokativen Unterton anzunehmen, und Kälte, Missmut und das Gefühl, nicht
zügig genug voran zu kommen, setzten mir allmählich zu.
»Lass uns in Theater gehen«, schlug sie vor.
»Eine Karte kostet so viel wie eine Niere, wenn du sie
nicht sechs Wochen vorher bestellst, dich stundenlang in einer Schlange von
Menschen erniedrigst und fließend Englisch sprichst, mon cherie «,
erwiderte ich, wobei mir eine gehörige Dampfwolke entwich, »und außerdem werden
sie denken, Außerirdische hätten mich über ein Zeitfenster aus dem Zweiten
Weltkrieg gesaugt, wenn sie den hier sehen.« Ich fasste ans Revers meines
Mantels.
»Ich finde, du siehst gut aus.«
»Danke. Aber die Leute im Theater wollen den großen Gatsby,
nicht Snake Plissken.«
Wir verbrachten den Abend im Kino, und ich habe noch heute
Popcorn in den Stiefeln, denn das Magic Theatre am Broadway verkaufte
mir das klebrigste Teufelszeug in der Geschichte der Entertainmentmahlzeiten.
Der aufkeimende Morgen einer Nacht, die uns unruhig über New
Yorker Linoleum hatte schliddern lassen, brachte Frost; das Schiebefenster zum
Rauchsalon war voller
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