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Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Titel: Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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Bescherung durchziehen«,
frohlockte sie, und das rief mich auf den Plan.
    Ich zog zwei Tüten unter der Couch hervor.
    Mein Bruder nahm seine mit schlaffer Hand und spähte hinein.
    Danach ging alles sehr schnell.
     
    19.12 Uhr
    Er sprang auf und fuhr mir an die Gurgel – alles hatte er
erwartet, alles hätte er toleriert: Vierzig Gramm blutroten Lippenstift auf
seinen Wangen, Erwins ketzerischen Vortrag – aber mein Geschenk brachte ihn
kurzzeitig um den Verstand.
    Ich strauchelte, riss den Arm meiner Mutter nach oben, als
ich mich festhalten wollte, und sah die Ente wie in Zeitlupe unter der Decke
schweben, eine Impression, die mich frappierend an das projizierte Bat-Signal
meines Weckers erinnerte.
    »Feindlicher Flieger auf zwölf Uhr«, kreischte Erwin
irritiert und stieß meine Mutter recht forsch Richtung Balkontür.
    Das dampfende Geflügel brachte Erwins Spukhaus zum Einsturz,
und Josef wurde unter dem Bauch der Ente begraben.
    Die Kinder klatschten brüllend in die Hände, was meinen
Bruder dazu brachte »DENKT AN NICHOLSON IN EINER FLOG ÜBERS KUCKUCKSNEST« zu schreien.
    Meine Mutter trat in all ihrer gleißenden Pracht auf den
Balkon und wurde augenblicklich vom harten Wasserstrahl der aus Gewohnheit
lauernden Feuerwehr erfasst, der sie zurück ins Wohnzimmer katapultiere. Das
hätte sie töten können, aber sie landete auf dem Fell eines prähistorischen
Untiers, was Oma umgebracht hätte, aber die hatte ja bereits abgelegt.
    Also hatten wir das Krippenspiel unterbrochen, Oma war
aufgrund der Wassermassen nicht mehr so arg warm, die Kinder hatten Spaß und
die Ente war auch noch da.
    Hoffentlich läuft dieses Jahr auch alles glatt.

Silvester
    Anspruch:              
*
    Metapherndichte:    **
    Lerneffekte:           
****
    Romantik:              
*
    Action:                   
***
    Sex:                        
*
     
    »Nein. Ich kann nicht an deiner ausschweifenden Party mit
selbstgebranntem Fusel und den alten AC/DC-Platten teilnehmen, Amigo«, greinte
ich ins Telefon.
    Uwe meinte, das wäre schon wegen der Damen im Häschenkostüm
bedauerlich; der Frauenüberschuss verhielte sich wie die Gewinnkurve von
Microsoft, und ich solle mir nicht ins Hemd scheißen.
    »Geht nicht. Ich habe versprochen, mit der Familie zu
feiern. Ich bin untröstlich.«
    Und das war ich wirklich.
    Ich holte die Bilder zurück in mein abgehalftertes Kopfkino,
dessen Sitze noch von der Vorstellung verklebt waren, mit Uwe und Konsorten
eine Henry-Miller-Version von »Reise nach Jerusalem« zu spielen, während
Tequila unsere T-Shirts durchnässte:
     
    Es war ein Dortmunder Sommertag gewesen, schön und warm. Die
Sonne hatte über Onkel Erwins Schrebergartenparzelle eine Überstunde nach der
anderen geschoben, und während ich in einem zerschlissenen Liegestuhl
Mineralwasser fragwürdiger Discount-Abfüllung in mich hineinschüttete, hatte
Erwin  auf mich eingeredet.
    »Bald ist schon wieder Weihnachten«, grunzte er aus den
Tiefen seiner Liege.
    Ich wollte nur die Augen geschlossen halten und gepflegt
schwitzen, also hielt ich jede Antwort so knapp wie ein U-Boot Kommandant.
    »Ja.«
    »Und dann sind wieder alle Scheiben vereist.«
    Das war eine grunzbescheuerte Feststellung, aber um tiefer
gehenden Einsichten vorzubeugen, beschloss ich, sie wäre für ein weiteres »Ja«
gut.
    »Die ganze Fresserei«, nölte Erwin.
    »Musst ja nicht so viel fressen«, antwortete ich im Affekt.
    »Wie? Damals, nach dem Kriech, als deine Mutta noch klein
war …«
    Ich war selbst schuld.
    »… da waren wir froh, anderleuts Eierkartons nach
Kalkrückständen auszulecken, du undankbarer Vogel! Wir waren eine abgerissene
Karawane hungriger Gestalten, die die Luft aus alten Fahrradreifen inhalierte, weil
es in unserer 6-Quadratmeter-Wohnung so schlimm nach Vatters Gummistiefeln
stank.«
    Ich beschloss, meine Kenntnis darüber, dass Erwins Familie
finanziell eigentlich immer gut dagestanden hatte, unter den Tisch fallen zu
lassen.
    »Ja.«
    »Und Silvester war der traurigste Tag im Jahr, Freundchen!
Da war nichts mit Böllern. Wir haben schon im Oktober Milchreste in Pappkartons
gefüllt. Die waren dann am Silvestermorgen ganz prall, und du brauchtest die
nur schräg anschauen und PAFF! DAS waren unsere Böller! Nicht der ganze
Chinesenkram, den ihr Pansen jedes Jahr anschleppt!«
    »Ich kaufe keine Böller an Silvester, Onkel«, erwiderte ich
lahm.
    »ACH?

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