Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie
wusste ich: Dschieses Kreist.
Und sie führte irgendwas im Schilde.
Darüber hinaus: Kinder. Cousins von irgendwem, Neffen von
irgendwem, Söhne und Töchter von irgendwem – und der Sprössling eines Typen,
der entweder der Sensenmann in Satin oder ein Staatsanwalt auf Abruf war, denn
er trug eine absurde Robe mit abgewetztem Kragen und rauchte filterloses Kraut.
Der fette Junge trat seit etwa 20 Minuten gegen einen Abfalleimer, bis selbst
dem Staatsanwalt dämmerte, dass der Junge nervte.
Ein Pärchen, das sich selbst als Eheleute mittleren Alters
bezeichnen würde, von allen anderen Lebensformen aber als »für den
Außengebrauch aufgemotzte Denver-Clan-Klone aus Wattenscheid« bezeichnet werden
dürfte. Das waren Matthias’ Schwiegereltern, Elke und Horst. Die mag ich – aber
weil sie mich ebenfalls mögen, kann ich sie unmöglich respektieren. Trotzdem
haben sie mich gern. Ein Teufelskreis, innerhalb dessen es aber wenigstens
immer Einladungen zum Grillen gibt.
»Können Sie ihrem Sohn mal sagen, er solle damit aufhören?«
erhob Horst dieselbe Stimme, mit der er früher unter Tage Kumpels zusammen
gebrüllt hatte, der alte Steiger. Ich nannte ihn gern Rod, in Anspielung auf den
knorrigen Schauspieler; ein flottes Wortspiel.
Der kleine Racker pölte noch immer gegen die Mülltonne, und
da bei Leuten ihres Alters nichts länger als vier Minuten dauern durfte, wurden
sie entgegen ihrer stoischen Einstellung anderen Menschen gegenüber ungehalten.
Der Mann in der Robe blinzelte kurz, fixierte dann seine
Zigarette, blähte die Wangen auf und brüllte: »Nimm die Knochen vom
Ascheneimer, du kleine Sau, oder ich schäl dir die Haut von den Beinen!«
Der Junge gab Fersengeld, bog zügig um eine Ecke – ein
Speedy Gonzales im Speckmantel – und war verschwunden.
»Das«, zischte Horst angewidert, »war nun auch nicht nötig.
So ein Kind ist auch ein sensibles Wesen.«
»Wie sensibel kann er wohl sein, wenn er es geil findet,
gegen städtische Müllbehälter zu treten, Mann?«
Die Stimme des Robenmannes war wie raschelndes Laub. Was
auch immer er tat, um so zu klingen: Er tat es schon lange und bis an die
Grenze des Gesunden.
»Sie sollten sich besser um Ihren Sohn kümmern, verdammt«,
nölte Elke.
»Mein Sohn? Keine Ahnung, wer die kleine Teppichratte war.
Wann geht das hier eigentlich los?«
Gute Frage, dachte ich – zusammen mit einem Sammelsurium
anderer guter Fragen: Wer war der Typ in der Robe? Was würde die Lehrerin
spielen? Woher kamen Kinder, die gegen Ascheneimer traten? Wohin gingen sie?
Interessierte es außer mir jemanden? Wo blieb das Brautpaar? Und, wo wir dabei
waren: Wer also zum Geier war der komische Kerl in der Scheiß-Robe?
Ein Rattern und Puffen zerstreute meine Gedanken, und dann
ertönte ein Schwall Ah’s und Oh’s, und Bräutigams Vater Horst brachte sogar ein
ziemlich knackiges OHA! zustande, rund und laut, unterm Strich allerdings
zuviel Sesamstraße und zuwenig Großer Bellheim.
Das Brautpaar hockte in einem achtzig Jahre alten Opel, eine
Art Cabrio-Berserker-Detonations-Monstrum in beigebraunsilberblau.
Und sie sahen gut aus. Der vermutlich einzige Vorteil einer
Hochzeit: Man kommt gut rüber. Lackschuhe, Frack, Smoking, mindestens aber ein
schwarzer Anzug edler Machart. Sie: Ein Traum in Weiß, beziehungsweise Creme,
wenn sie sich bereits versündigt hatte.
Wunderschön, obwohl es Ausnahmen gibt.
Ich erinnere mich gerade an eine gute Freundin von mir, der
in ihrem neunten Schwangerschaftsmonat eine kirchliche Hochzeit in Weiß
aufgenötigt wurde: Das Brautkleid war doppelt so teuer wie ein Übliches, und
der Pfarrer hatte sie angesehen, als wäre sie der nackte Klaus Kinski.
In Wirklichkeit sah sie eher aus, als hätte
Godzilla-Erfinder Ishiro Honda sie für »Schwanensee gegen King Kongs Sohn« als
die Ballerina des Unfassbaren besetzt. Ich fand sie trotzdem süß, und keinen
Nicht-Kleriker hat es gestört.
Matthias strahlte, und Sabine war so was von Du bist der
hellste Punkt an meinem Horizont – du bist der Farbenklecks in meinem Grau in
Grau – Merci, dass es dich gibt -schön, dass es leicht schmerzte.
Sie entstiegen dem Opel und begrüßten nach einem mir
schleierhaften Schema alle Anwesenden.
»Sehr schön, Torsten«, flüsterte Matthias.
»Ich führe heute Abend Marcellus Wallace’ Frau aus«,
murmelte ich zurück.
»Benimm dich, oder du fliegst«, knurrte Sabine mit dem
strahlenden Lächeln einer Stewardess, der jemand einen Revolver an den
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