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Bran

Bran

Titel: Bran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Falke
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Sommer, selbst um die Mittagszeit wird es zwar warm, aber niemals unangenehm. Die Wälder sind immer grün, sogar im Winter, wenn es Tannenwälder sind. Und sie erstrecken sich weiter, als deine kühnsten Träume reichen. Du kannst tagelang fahren, in einem schnellen Scooter, und erreichst ihr Ende nicht. Seen sind darin eingelassen, manche von ihnen groß wie Staaten, und Berge erheben sich, sechstausend metrische Einheiten hoch, die Gipfel bedeckt von Gletschern.«
    »Was sind Gletscher?«
    »Eis. Unbegreifliche Massen von Eis, die die Zinnen der Gebirge belasten wie Zuckerschaum eine Hochzeitstorte.«
    »Das kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Überall ist Wasser. Es rieselt aus dem Moos, springt aus Quellen, kullert in Bächen, schnellt in Flüssen und vereinigt sich zu reißenden Strömen, breiter als die größten Magistralen deiner Heimatstadt. Die Wälder sind voller Wild. Lapati-Hirsche und ihre braunäugigen Rehe betrachten dich neugierig. Sie sind so zutraulich, als wären sie zahm. In den endlosen Hügeln der Tundra lebt der Trollbär mit seinem sonderbaren Aussehen. Und die Taiga, jenseits des 70. Breitengrades, ist das Reich des Polargnus, dessen nach Millionen zählende Herden in ihren großen Wanderungen dem Lauf der Sonne folgen. In den Flüssen schwimmen Eisforellen und Steinlachse. Und der Schrei des Waldfalken hallt über den Bergen wider.«
    Kundali sah ihn seltsam an. »Das muss das Paradies sein, so wie du es mir schilderst.«
    »Von hier aus gesehen mag es das wirklich sein.« Straner musste sich von seinen Vorstellungen losreißen wie eine Biene vom Honig, in dem sie zu ertrinken drohte.
    »Wirst du mich auch dorthin mitnehmen?«
    »Ich weiß nicht, ob ich je nach Rangkor zurückkehren kann.«
    Seine Miene verschattete sich, wie wenn ein Staubteufel in der Wüste sich urplötzlich des Sonnenlichts bemächtigte.
    »Hat das mit deinem Auftrag zu tun?«
    »Es ist spät geworden.« Straner stand auf.
      
    Sie gingen über die Plaza, langsam, schlendernd. Straner hatte die Hände in den Taschen. Kundali tänzelte leise einen Schritt nach links, einen Schritt nach rechts, schlenkerte mit den Armen, sah zum Himmel hinauf, der schwarz und sternenlos war. Beide spürten sie, dass der Abend, der so furchtbar begonnen hatte und der dann doch noch eine versöhnliche Wendung genommen hatte, wie wenn nach einem schweren Sturm wieder die Sonne durchbricht, sich dem Ende zuneigte.
    Sie gingen an dem Brunnen vorbei, der genau die Hauptachse der imperialen Anlage markierte, die Mitte zwischen dem Schildkrötenbau des Archivs und dem schwarzen Block des Mausoleums. Hier nahm die große Magistrale ihren Ausgang, die Dutzende metrische Meilen weit nach Süden reichte und in deren Verlauf die Viertel immer anbrüchiger wurden.
    Kundali zwinkerte ihm verschwörerisch zu und nickte mit dem Kopf zum Brunnen hin. Straner tat so, als habe er es nicht bemerkt. Ihr Gesicht war ein einziges Tadeln.
    Er spürte die Müdigkeit. Auch Ratlosigkeit. Er wusste nicht, was er noch reden, wohin er noch mit ihr gehen sollte. Manchmal, sagte er sich, musste man die Dinge einfach auf sich beruhen lassen. Die schöne Sache nicht verderben dadurch, dass man sie noch schöner machen will.
    Sie betraten den Palast. Die Wachen salutierten. Schweigend fuhren sie in die Etage, in der sich ihre Wege trennen würden. Dann standen sie in einer der marmornen Hallen, auf handgeknüpften Teppichen, zwischen goldenen Säulen, antiken Vasen und kostbaren Skulpturen.
    »Ich danke dir für diesen Abend«, sagte sie förmlich. »Ich werde lange brauchen, ihn in seiner Gesamtheit zu ermessen.«
    »Gute Nacht, Infantin.«
    Sie verschwand im Inneren des Khanspalastes.
    Straner machte sich auf den weiten Weg durch die Nebentrakte, bis er im Gästeflügel des Ministeriums seine Unterkunft erreichte.
      
    Das Wasser hatte ihn euphorisiert wie eine gute Nachricht. Aber jetzt spürte er die Müdigkeit in sich aufsteigen wie Schimmel in einer feuchten Wand. Er ging ins Bad, sprengte sich kalt ab und zog frische Sachen an. Die Bots mischten ihm ein Getränk aus Qat-Essenz und reinem Koffein. Dazu trank er eine Flasche Mineralwasser, lokales Wasser, das durch Entsalzung an der weit entfernten Küste gewonnen wurde. Es schmeckte abgestanden und bitter wie der Urin eines Sterbenden.
    Eine Stunde nach Mitternacht brach er auf. Er verließ das Gebäude durch einen Nebeneingang. In einer der Seitenstraßen der Plaza nahm er einen Scooter, der ihn nach Thamal

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