Brandung des Herzens
geirrt«, sagte Reno verbittert. »Aber sosehr ich auch Lust hätte, dir den Schädel einzuschlagen, weil du aus meiner Schwester eine...«
»Sprich es nicht aus!« unterbrach Caleb ihn in einem Ton, der so gefährlich wie das Aufblitzen in seinen Augen war. » Wehe, du denkst es auch nur.«
Mit wachsendem Entsetzen beobachtete Willow das Verhalten der beiden Männer, die sie liebte. Sie versuchte zu sprechen, doch die Worte blieben ihr in der Kehle stecken. Sie hatte Freude erwartet, nicht Zorn, wenn sie ihren Bruder nach langer Zeit zum ersten Mal wiedersah.
»Matt?« fragte sie schließlich ängstlich und forschte im Gesicht ihres Bruders, der so groß wie Caleb war, so stark wie Caleb und ebenso wütend. »Was ist los?«
»Bist du mit ihm verheiratet?« fragte Reno barsch.
Der eiskalte Wind ließ Willow schaudern, erinnerte sie daran, daß ihre Jacke immer noch offenstand. Sie knöpfte sie zu und hob dann stolz den Kopf, als sie ihrem Bruder in die Augen sah, trotz der verlegenen Röte, die auf ihren Wangenknochen brannte.
»Nein«, erwiderte sie.
»Bist du ihm versprochen?«
Verärgert setzte Caleb zum Sprechen an.
Willow schnitt ihm das Wort ab. »Nein.«
»Jesus! Und du fragst mich, was los ist! Was ist mit dir passiert, Willy? Was wird Mama sagen, wenn sie weiß, daß...«
»Mama ist tot.«
Reno starrte sie einen Moment ungläubig an, dann schloß er die Augen, holte zitternd Luft und fragte tonlos: »Wann?«
»Bevor der Krieg zu Ende war.«
»Wie?« fragte er rauh.
»Sie war nie besonders widerstandsfähig. Nachdem Papa getötet wurde, hat sie einfach aufgegeben.«
»Wo sind Rafe und...«
»Ich weiß es nicht«, unterbrach Willow ihn brüsk. »Ich habe meine Brüder seit Jahren nicht mehr gesehen. Die einzige Familie, die ich noch hatte, waren meine Erinnerungen.«
Der Ausdruck auf Renos Gesicht veränderte sich; alle Wut wich, bis nur noch Traurigkeit übrigblieb. Wieder zog er seine Schwester fest in seine Arme und drückte sie an sich. Er legte seine Wange an Willows Haar und wiegte sie sanft hin und her.
»Es tut mir leid, Willy«, sagte er leise. »Es tut mir so schrecklich leid. Wenn ich davon gewußt hätte, wäre ich zurückgekommen. Es war nicht richtig, daß du mit allem allein fertig werden mußtest.«
Willow schluchzte unterdrückt auf und warf ihre Arme um Reno. Caleb beobachtete die beiden aus Augen, die zu Schlitzen zusammengezogen waren, während in seiner Erinnerung ein Bild aufstieg, das Bild eines Mädchens, das im Halbschlaf sehnsüchtig die Arme nach ihm ausstreckte.
Matt, bist du’s wirklich? Ich habe mich so einsam gefühlt...
Eine ganze Weile später löste sich Reno sanft von seiner Schwester, tupfte ihr mit seinem dunklen Halstuch die Tränen von den Lidern ab und küßte sie auf die Wange. Dann musterte er Caleb über ihren Kopf hinweg.
»Wir beide werden uns später unterhalten«, versprach Reno kalt. »Im Moment gibt es dringendere Probleme. Da draußen warten zehn Männer, und sie brennen darauf, mich, Willow und ihren rotbraunen Hengst in die Finger zu kriegen. Sie sind auch auf ein Stück von deiner Kehrseite scharf, aber da werden sie sich schön brav anstellen müssen. Ich bin als erster dran, mit dir abzurechnen.«
»Keine Bange. Ich werde keine Sekunde von deinen Fersen weichen.«
Renos linke Augenbraue hob sich in einem dunklen Bogen, er sagte jedoch nichts, auch dann nicht, als Willow zu Caleb zurückging, seine rechte Hand in ihre Hände nahm und seine schwielige Handfläche küßte, bevor sie ihre Finger fest mit seinen verflocht. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, kam aber nicht dazu, denn im selben Moment warf Ishmael alarmiert den Kopf hoch. Mit steil aufgerichteten Ohren und geblähten Nüstern sog der Hengst den Wind ein, der in die schmale, dicht mit Unterholz bewachsene Schlucht wehte.
Calebs rechte Hand zuckte, aber seine Finger waren mit Willows verflochten. Reno hatte keine derartigen Probleme. Mit schockierender Schnelligkeit erschien eine Pistole in seiner linken Hand. Willow starrte ihn an, unfähig zu glauben, was sie gerade gesehen hatte. Im einen Moment hatte Reno noch ruhig dagestanden, seinen Arm locker an der Seite; im nächsten hielt er eine Waffe mit gespanntem Hahn in der Hand. Willow hatte nichts weiter als eine verschwommene Bewegung wahrgenommen.
»Matt...?« flüsterte sie verblüfft.
Reno bedeutete seiner Schwester mit einer knappen Geste zu schweigen. Dann wandte er sich ab und begann, langsam auf die
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